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Woher der Hype um die Faszien kommt

Fitnessfreunde sind vom Training ihrer Faszien völlig begeistert. Sportwissenschaftler hingegen belächeln den Trend eher Fitnessfreunde sind vom Training ihrer Faszien völlig begeistert. Sportwissenschaftler hingegen belächeln den Trend eher
Fitnessfreunde sind vom Training ihrer Faszien völlig begeistert. Sportwissenschaftler hingegen belächeln den Trend eher
Quelle: Getty Images/Stocktrek Images
Das Training mit der Rolle soll das Bindegewebe im Körper geschmeidig halten. Es soll sogar die Leistungsfähigkeit steigern. Doch Wissenschaftler sind bislang noch nicht überzeugt vom Faszientrend.

Das Wort, sagt Robert Schleip, ist einfach gut: Faszientraining. Es klingt modern, ein wenig technisch, vor allem aber wissenschaftlich. Schleip ist stolz auf das Wort, und auf den riesigen Trend, den es beschreibt. Schleip, ein Humanbiologe von der Universität Ulm, ist, wenn man so will, an beidem schuld.

Jedes Fitnessstudio, das etwas auf sich hält, bietet derzeit „Faszienkurse“ an. Oder legt wenigstens „Faszienrollen“ aus. Gummibänder und Pilatesbälle sind out. Faszienrollen bestehen aus hartem Schaumstoff, sind etwa so lang wie ein Unterarm und kosten um die 30 Euro.

Beim Faszientraining gleitet man mit Armen, Beinen oder auch dem Hintern über diese Rolle. Das tut am Anfang ziemlich weh und soll die Fasern massieren, die um die Muskeln herumliegen. „Man könnte auch von Bindegewebstraining sprechen“, sagt Robert Schleip. Bindegewebe klinge allerdings nach weichem Bauchspeck und Cellulite.

Faszien-Training – ein „missing link“?

Wer die Faszien trainiert, trainiert den ganzen Körper, versprechen die Anbieter der Kurse und die Hersteller der Rollen. Rückenschmerzen sollen verschwinden, der ganze Körper straffer, beweglicher, jünger werden. Sportler sollen ihrer Leistungen steigern können.

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Doch bisher gibt es keine Studie, die diese Verheißungen belegt. Sportwissenschaftler sind skeptisch, aber das Faszienfitness-Geschäft boomt – vor allem in Deutschland.

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Es gibt einen Verband mit Sitz in Augsburg, der Trainer mit Zertifikaten versorgt, die „Fascial Fitness Association“. Die Ausbildung dauert vier Tage und kostest ab 740 Euro. Der Verband will als Nächstes die Märkte in ganz Europa, dann in Asien, Lateinamerika und Australien erobern. Die Firma „Black Roll“, die am erfolgreichsten Faszienrollen verkauft, gehört einem Schwaben.

Robert Schleip sagt, dass das Bindegewebe das Stützgerüst des gesamten Körpers ist. Früher habe man nur Muskeln, Kreislauf und Koordination trainiert. Das Training der Faszien sei der „missing link“, es schließe eine Lücke.

Bindegewebe kann verhärten

Schleip ist 61 Jahre alt, vor dreißig Jahren begann er selbst als Trainer und Therapeut. Er gab Kurse in einer Trainingsmethode, die sich „Rolfing“ nannte, und auch ein Trend war, aber kein riesiger. Auch beim Rolfing ging es um das Bindegewebe. Weil Schleip wissen wollte, wie das Training wirkt, studierte er noch einmal und promovierte im Fach Humanbiologie. Inzwischen leitet er an der Uni Ulm die „Faszienforschungsgruppe“. Schleip ist im wissenschaftlichen Beirat des Faszienfitness-Verbands.

Das Bindegewebe ist ein Netz aus Fasern, das sich durch den ganzen Körper spannt. Es hält Muskeln und Organe an ihrem Platz und verleiht Stabilität. Weil es elastisch und flexibel ist, wirkt es wie Stoßdämpfer von innen. Gleichzeitig macht es Bewegungen federnd und geschmeidig.

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Das Fasziennetz ist aus übereinanderliegenden Schichten aufgebaut, die aneinander entlanggleiten können. Wer sich nicht genug oder falsch bewegt, riskiert, dass die Schichten verkleben oder verdicken. Die Beweglichkeit nimmt ab. Im Alter verhärten die Faszien.

Bereits vor hundert Jahren kannten Ärzte diese Strukturen. Aber erst seit Kurzem können sie tiefer in die Faserschichten schauen. Durch die sogenannte Elastografie, ein neues, hochauflösendes Ultraschallverfahren, können sie beobachten, wie die Faszien aneinander entlanggleiten. Oder kleben bleiben.

Turnen hilft genauso wie die Rolle

Mithilfe des Ultraschalls und anderer Verfahren untersuchen Schleip und seine Kollegen in Ulm, was die Massage mit der harten Schaumstoffrolle bewirkt. „Das Bindegewebe wird gedehnt“, sagt Werner Klingler, der mit Schleip forscht. Durch diesen Reiz werde der Botenstoff Stickstoffmonoxid verstärkt ausgeschüttet. Dieser sorgt dafür, dass sich die Blutgefäße erweitern und durchlässiger werden. Das Bindegewebe wird besser durchblutet. Außerdem drückt die Dehnung das Wasser aus dem Gewebe. In der Ruhestellung saugen sich die Faszien wieder voll – der Stoffaustausch wird beschleunigt. Das geschehe jedenfalls unter Laborbedingungen, sagt Klingler.

Beim Faszientraining kommt nicht nur die Rolle zum Einsatz. Es gibt auch ganz altmodische Turnübungen. Seilspringen ist beliebt. Oder die Übung „Fliegendes Schwert“, bei der man mit dem Oberkörper und den Armen über dem Kopf auf und ab schwingt. Bei diesen Übungen sollen die Fibroblasten angeregt werden, das sind Zellen, die neues Bindegewebe produzieren.

Schleip und seine Kollegen untersuchen, wie sich bekannte Übungen auf die Zellen im Gewebe auswirken. Diese Verbindung ist, wissenschaftlich gesehen, das Neue. Vor acht Jahren hat Schleip den ersten Kongress zu diesem Thema mitorganisiert, Forscher aus aller Welt trafen sich an der Harvard Medical School in Boston. Der Begriff Faszien, der früher nur die weichen Teile des Bindegewebes bezeichnete, sei dort auf des gesamte Gewebe ausgeweitet worden, und umfasst seitdem auch Sehnen, Kapseln und intramuskuläres Gewebe.

Erhöht das Training die Leistungsfähigkeit?

Bei der zweiten internationalen Faszien-Konferenz, die vor sechs Jahren stattfand, berichteten japanische Forscher, dass federnde Bewegungen überhaupt erst durch die Elastizität der Faszien ermöglicht werden, weniger durch die roten Muskeln.

Medien begannen zu berichten, die Fitnessindustrie wurde aufmerksam.

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Christian Blisse ist seit fünf Jahren Personal Trainer in Berlin. Die Kunden fragen oft nach Faszientraining, sagt er. Blisse fing an, sich um sein Bindegewebe zu sorgen, als er selbst noch Leistungssportler war. Er fuhr lange Radrennen, 80 oder 100 Kilometer am Stück, und zog sich im Training häufig Muskelfaserrisse in den Oberschenkeln zu. Seine Physiotherapeuten empfahlen ihm Massagen mit harten Schaumstoffrollen. Später besuchte er Faszien-Fortbildungen – bei Robert Schleip aus Ulm, dem Faszien-Forscher.

„Meine Muskeln sind nicht mehr so verhärtet, sie fühlen sich weicher an“, sagt Blisse. Manche seiner Kunden seien von den Übungen und den Massagen auf der Rolle allerdings nicht so begeistert, einige hätten sogar das Gefühl, ihre Leistungsfähigkeit habe sich verschlechtert. „Man spürt seine Grenzen früher.“ Das Gewebe werde empfindlicher.

Das Bindegewebe benötigt kein eigenes Trainingsprogramm, sagt Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln. „Wir funktionieren als ganzes System und nicht nur als Faszie.“

Ganzkörpertraining als Goldstandard

Faszienfitnesskurse, das sei nur „alter Wein in neuen Schläuchen“. Froböse ist über jeden Menschen froh, der überhaupt regelmäßig Sport treibt. Aber Seilspringen muss man sich nicht von einem Trainer beibringen lassen, der nebenbei über das Bindegewebe redet. Es gehe darum, den ganzen Körper zu trainieren, nicht einen speziellen Teil.

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„Wer seine Muskeln schon immer dynamisch gedehnt hat, der hat keine Probleme mit seinen Faszien“, sagt Froböse. Sich nur auf die Faszienrolle zu legen, ohne das Seilspringen und die anderen Übungen, das mache überhaupt keinen Sinn. Die ganze Muskulatur bleibe dann nämlich untrainiert – und damit auch das Bindegewebe.

Meist stehen deshalb federnde, schwingende Bewegungen beim Faszien-Work-out auf dem Programm. Um das Gewebe anzuregen, neue Zellen zu produzieren, muss es ordentlich beansprucht werden. Wenn sich die Trainer nicht richtig auskennen, kann man sich Muskelfaserrisse zuziehen.

Auch die Massage mit der Rolle wirkt nicht so gut, wie die Verkäufer behaupten. Es tut zwar weh, sich über den Schaumstoff zu schieben. Der Stoffwechsel im Bindegewebe wird angeregt. Aber Verklebungen lassen sich so nicht nachhaltig lösen. Die Selbstmassage erreicht nur oberflächliche Strukturen, ein professioneller Masseur oder Physiotherapeut kann mit seinen Händen tiefer greifen und stärkere Kräfte aufbauen.

Bislang keine wissenschaftlichen Belege

In verschiedenen Studien haben Forscher versucht, positive Wirkungen der Rollenmassage auf die sportliche Leistung nachzuweisen, bisher ohne Erfolg. In den USA untersuchten Wissenschaftler an 26 Studenten unter anderem, wie hoch sie nach einer Massage springen konnten. Die Teilnehmer, die vorher über die Rolle geglitten waren, waren nach dem Training zwar weniger erschöpft, doch ihre athletische Leistung hatte sich nicht verbessert. In einer kanadischen Studie massierten sich 17 Teilnehmer vor und nach Kraftübungseinheiten mit der Rolle. Die Forscher maßen die Muskelkraft im unteren Rücken und im hinteren Oberschenkel – durch die Massage veränderte sich nichts.

Selbst die Forscher aus Ulm klingen, als würden sie den Hype gern wieder etwas bremsen. Werner Klingler, der im Labor die Dehnung in den Zellen der Faszien untersucht, erzählt von einem Gespräch mit seiner Mutter. Die Mutter habe neulich einen Gymnastikkurs für Senioren besucht. „Wir machen heute Faszientraining und werden dadurch zwanzig Jahre jünger!“, habe der Trainer seiner Mutter versprochen.

Klingler musste seine Mutter enttäuschen. Das sei leider Unsinn, sagte er ihr.

Auch Klingler sagt, dass man das Training von Muskulatur und Faszien nicht voneinander trennen kann, allenfalls Schwerpunkte setzen. „Der Umgang mit dem Thema nimmt unseriöse Formen an.“ Die Erforschung der Strukturen des Bindegewebes stehe noch am Anfang.

Robert Schleip, der Leiter der Forschungsgruppe aus Ulm, der Mann, ohne den es den Faszientrainingstrend vermutlich nicht gäbe, sagt: Das Training mit der Schaumstoffrolle könne ein Anfang sein. Man könne dem Körper „etwas Gutes tun“. In jedem Fall sei ein Faszientraining besser, als nur auf der Couch zu sitzen.

Das gilt für einen leichten Spaziergang allerdings auch.

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