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Wissenschaftlerinnen in einem Labor (Symbolbild)
Wissenschaftlerinnen in einem Labor (Symbolbild)
Foto: Luis Alvarez / Getty Images

Immunologe über Konzept des »Corona-Tüftlers« Stöcker Ist es so simpel, einen Impfstoff zu entwickeln, Herr Löffler?

Der Lübecker Unternehmer Winfried Stöcker hat eine angebliche Covid-19-Vakzine auf eigene Faust getestet. Über die Fallstricke dieses Vorgehens spricht Markus Löffler, der selbst Impfstoffe erforscht.
Ein Interview von Nina Weber

Der Lübecker Unternehmer Winfried Stöcker hat nach eigenen Angaben einen Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt und diesen nicht nur sich selbst, sondern auch 100 Freiwilligen verabreicht – ohne Genehmigung. Er erhielt eine Strafanzeige, es laufe ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz, wurde ihm mitgeteilt. Stöcker sagt , er wolle mit dem Mittel kein Geld verdienen. Weil er den Impfstoff so schnell wie möglich der Allgemeinheit zur Verfügung stellen wolle, sei er den unkonventionellen Weg gegangen. Markus Löffler, Experte für klinische Studien, sagt im Interview, warum solche Untersuchungen streng reglementiert sind, eng von Behörden begleitet werden – und wann man bei einem Mittel tatsächlich von einem Impfstoff sprechen kann.

SPIEGEL: Herr Löffler, wir haben zwar einige zugelassene Impfstoffe gegen Covid-19 in Deutschland, aber immer noch zu wenig Impfstoff vor Ort. Der Lübecker Unternehmer Winfried Stöcker verkündete, er habe einen von ihm selbst entwickelten Impfstoff an 100 Menschen getestet. In der aktuellen Situation bedürfe es keiner »langwierigen Doppelblindversuche«. Man solle einfach die ersten 1000 Menschen impfen, wenn das gut ginge, 10.000 und dann den Rest. Ist es so simpel?

Löffler: Wenn jemand – wie in diesem Fall wohl geschehen – den Teil eines Virusproteins nachbaut und mit einem Wirkverstärker versieht, hat er einen Kandidaten für einen sogenannten Protein-Subunit-Impfstoff. Das ist ein etabliertes Konzept. Die Schöpfungshöhe ist an diesem Punkt eher gering. Erst, wenn der Nachweis erbracht wird, dass dieser Kandidat beispielsweise zu 70, 80 oder 90 Prozent vor einer Krankheit schützt und ausreichend sicher ist, kann man tatsächlich von einem Impfstoff sprechen. Dafür braucht es randomisierte, Placebo-kontrollierte Studien.

SPIEGEL: Können Sie das genauer erklären?

Löffler: In diesen Studien werden Menschen zufällig einer Gruppe zugeteilt, in der entweder ein Wirkstoff oder ein Scheinmedikament, ein Placebo, verabreicht wird. So kann man die Wirksamkeit in der tatsächlich geimpften Gruppe im Vergleich zu den Menschen zeigen, die das Placebo bekommen haben.

SPIEGEL: Gibt es denn keinen einfacheren Weg? Herr Stöcker hat nach eigenen Angaben die Antikörper-Konzentrationen der mit seinem Mittel Geimpften gemessen.

Löffler: Bislang existiert kein Bluttest, der eindeutig eine vorliegende Immunität gegen das Coronavirus ausreichend sicher anzeigt. Es gibt zwar den sehr plausiblen Zusammenhang, dass das Vorhandensein von neutralisierenden Antikörpern auf eine Immunität hindeutet. Aber es ist nur ein Hinweis, kein genügender Beweis. Nur die Antikörper zu messen, reicht nicht aus, solange die wissenschaftlichen Belege dafür fehlen, dass ein solcher Test oder andere Tests eine so klare Aussage zur Immunität liefern, dass sie randomisierte, Placebo-kontrollierte Impfstoffstudien ersetzen könnten. Falls diese Belege irgendwann vorliegen, muss man natürlich überlegen, ob man einen neuen Impfstoff nur auf Basis solcher Tests zulassen kann. Aber ich denke, so eine Entscheidung sollen dann Expertengremien, etwa bei der WHO oder der Ema , treffen, und nicht einfach jemand, der sagt: Ich mache das jetzt so.

Jemand, der sich impfen lässt, geht davon aus, dass ihn dieser Impfstoff schützt. Sonst wäre die Impfung ja sinnlos. Deshalb müssen Hersteller Wirksamkeit und Sicherheit unter Beweis stellen.

SPIEGEL: Also benötigen wir weiterhin klinische Studien. Und für diese braucht man eine Genehmigung …

Löffler: Ja. Wer einen Impfstoff klinisch prüfen will, benötigt in Deutschland eine Genehmigung vom Paul-Ehrlich-Institut. Das macht Vorgaben, was alles während der Studie geprüft und überwacht werden muss. Auch eine Ethikkommission ist eingeschaltet. Es geht ja um Tests an Menschen, die für die Teilnehmenden mit einem Risiko verbunden sind. Da ist es absolut legitim, dass sehr genau hingeschaut wird.

SPIEGEL: Herr Stöcker beklagt, das Paul-Ehrlich-Institut habe ihn angezeigt, als er sich dort meldete und von seinen Versuchen berichtete. Was halten Sie davon?

Löffler: Zu den juristischen Fragen in diesem Fall kann ich mich nicht ausreichend kompetent äußern.

SPIEGEL: Wie geht es weiter, wenn eine Studie genehmigt wurde?

Löffler: Alles wird haarklein dokumentiert. In der Frühphase einer klinischen Studie werden alle Probanden sehr genau überwacht. Es wird überprüft, dass man jeder möglichen Nebenwirkung nachgeht. Nebenwirkungen mit einer gewissen Schwere müssen unverzüglich den Behörden gemeldet werden, das ist Pflicht. Wie wichtig die genaue Überwachung ist, haben wir gerade beim Impfstoff von AstraZeneca gesehen: Weil mögliche schwere Nebenwirkungen gemeldet werden, erkennt man ein Muster.

SPIEGEL: Was passiert, wenn schon in der klinischen Studie etwas auffällt?

Löffler: Es gibt in der Regel ein Data Safety Monitoring Board, das besteht aus unabhängigen Experten, die alles genau analysieren und empfehlen, ob eine Studie möglicherweise gestoppt werden muss oder weiterlaufen kann. Außerdem erfolgt eine Überwachung durch die Behörden. Einer der Grundsätze in der Medizin lautet: »Primum non nocere« – als Erstes nicht schaden. Wer einen Impfstoffkandidaten an Menschen testet, muss aber ein kontrolliertes Sicherheitsrisiko für die Probanden in Kauf nehmen.

Dass diese Studien überhaupt erlaubt sind, liegt daran, dass es entscheidende Wissenslücken gibt: Wir haben einen möglichen Impfstoff, der vor Covid-19 schützen könnte, können dies aber nur durch Studien bestätigen oder verwerfen. Nur deshalb ist es in Ordnung, diese Untersuchungen, mit allen nötigen Auflagen, durchzuführen.

SPIEGEL: Welche Auflagen sind das?

Löffler: Um ein Beispiel zu nennen – eine Versicherung, die greift, falls einer der Teilnehmenden einen Schaden erleidet. Wenn man einfach so ein Mittel an Freiwilligen testet, fällt so ein Aspekt hinten runter. Bei einer klinischen Studie wird unter anderem ein Prüfplan erstellt, was wann und wie zu untersuchen ist. An den muss man sich genau halten. Wenn jemand im Alleingang Daten sammelt, sind die nicht valide, halten einer wissenschaftlichen Überprüfung also nicht stand. Man kann ja zum Beispiel nicht sicher sein, was an Daten erhoben worden ist, aber verschwiegen wurde. Das heißt: Sie kommen auf eigene Faust, ohne verlässliche Daten, nie zu einem Produkt, also einem Impfstoff, der Sicherheit und Wirksamkeit unter Beweis gestellt hat.

SPIEGEL: Die Impfstoffkandidaten, die wie der des Lübecker Unternehmers auf einem Virusprotein basieren, sind zahlreich. Aktuell zählen die meisten Präparate, die in klinischen Studien getestet werden, zu diesem Typ. Zugelassen ist in der EU noch keiner davon. Warum hat es mit diesen Impfstoffen länger gedauert?

Löffler: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Allerdings muss man daran erinnern, dass die Impfstoffentwicklung eigentlich schon mit Lichtgeschwindigkeit passiert ist. Auch die Produkte, die in diesem Jahr zugelassen werden, wurden immer noch extrem schnell entwickelt.

»Wer einen Impfstoff bekommt, hat ein Recht darauf zu wissen, dass dieser sicher und wirksam ist. Das müssen alle diejenigen beweisen, die Impfstoffe entwickeln wollen.«

SPIEGEL: Die Medizin hat bisweilen von Pionieren profitiert, die etwas unkonventionell an sich selbst getestet haben. Ist das nicht auch wichtig?

Löffler: Natürlich gibt es ein paar durchaus berühmte Selbstversuche in der Medizin. Der deutsche Arzt Werner Forßmann hat sich selbst einen Katheter bis ins Herz vorgeschoben. Er erhielt später einen Nobelpreis. Barry Marshall, ein australischer Arzt, trank selbst Flüssigkeit mit Helicobacter-pylori-Bakterien, um zu beweisen, dass diese Magengeschwüre auslösen können. Auch er wurde Jahre später mit dem Nobelpreis geehrt.

SPIEGEL: Was ist dann der Haken?

Löffler: Ein Selbstversuch ist limitiert auf eine konkrete Person. Ganz wichtig ist dabei, dass diese Person selbst erfassen kann, was dieser Versuch für Folgen haben wird, welche Probleme er mit sich bringen kann, um auf dieser Basis einzuschätzen, welches persönliche Risiko damit verbunden ist. Die Person muss also ein Experte sein. Die Person muss sich aus freien Stücken entscheiden, den Versuch an sich selbst durchzuführen. Sobald eine zweite Person dazukommt, also zum Beispiel ein Arzt jemand anderen mit einem Impfstoffkandidaten impft, ist es kein Selbstversuch mehr, dann gelten ganz andere Regeln. Werner Forßmann, um darauf zurückzukommen, hat sich selbst den Katheter gelegt. Er hat keinen Kollegen gebeten, das zu versuchen und er hat die Prozedur auch nicht an einem Freiwilligen ausprobiert.

Eine weitere Einschränkung des Selbstversuchs: Er ist immer anekdotisch. Er kann folglich nur Hinweise geben. In diesem Sinne kann er wertvoll sein, aber er ersetzt niemals klinische Studien. Wer einen Impfstoff bekommt, hat ein Recht darauf zu wissen, dass dieser sicher und wirksam ist. Das müssen alle diejenigen beweisen, die Impfstoffe entwickeln wollen.