1. Soester Anzeiger
  2. Lokales
  3. Soest

„Spaß an der Arbeit“: 91-jähriger Soester pfeift auf den Ruhestand

KommentareDrucken

Fritz Kleegräfe könnte schon seit 26 Jahren den Ruhestand genießen. Doch der 91-jährige Elektromeister fährt weiter raus, um den Kunden ihre Sorgen zu nehmen.
Fritz Kleegräfe könnte schon seit 26 Jahren den Ruhestand genießen. Doch der 91-jährige Elektromeister fährt weiter raus, um den Kunden ihre Sorgen zu nehmen. © Daniel Schröder

Trotz seines hohen Alters von 91 Jahren ist Fritz Kleegräfe aus Soest weiter im Dienst seiner Kunden. Er ist überzeugt: „Wer nichts mehr tut, nichts mehr lernt, wird in der Birne müde.“

Soest – Fritz Kleegräfe wurde 1932 geboren. 1997 hätte der Elektromeister sein bewegtes Berufsleben hinter sich lassen und die Renten-Ruhe genießen können. Doch der Soester denkt nicht ans Füße-Hochlegen. Daher fährt der 91-Jährige auch heute noch mit seinem selbst umgebauten VW-Transporter durch die Region und kümmert sich um die kleinen und großen Heizungs-Probleme seiner Kunden. Er ist überzeugt: Seine außergewöhnliche Definition des Unruhestandes ist der Schlüssel für sein langes und gesundes Leben.

Fritz Kleegräfe kommt im Jahr 1932 in Eickelborn zur Welt, besucht dort die Volksschule, während im eigenen Land der Zweite Weltkrieg tobt. Hitlergruß und Wehrmachtsbericht gehören zum Schulalltag, wie die Gewalt des eigenen Lehrers. Noch heute verspürt er eine Wut „auf diesen bösen Mann“, sagt er.

Fritz Kleegräfe pfeift auf den Ruhestand: Am Windmühlenweg lernt er, was Spaß an der Arbeit ist

Nach der Schule geht er bei einem Bettinghäuser Elektromeister in die Lehre, auch an diese Zeit hat er keine guten Erinnerungen. Trotz aller Widrigkeiten besteht er Ende März 1950 die Gesellenprüfung und wechselt zur neuen Wirkungsstätte am Windmühlenweg in Soest. Bei den Gebrüdern Joseph und Stephan Göstemeyer lernt er erstmals, was Spaß an der Arbeit ist. „Bei den Göstemeyers habe ich mich wie ein Sohn im Hause gefühlt“, erinnert er sich.

Rund fünf Jahre bleibt er dort, probiert sich danach mehr als zwei Jahre lang im Bergbau. Doch die Arbeit unter Tage auf Zeche Ewald 1/2/7 gefällt Kleegräfe nicht, eine Nierenkrankheit beendet das Bergbau-Kapitel und nimmt ihm rund zwei Jahre lang die Kraft, um zu arbeiten. „Ich hatte nichts mehr drauf.“ Mit dem Jahresbeginn 1958 kehrt der Arbeitsalltag für ihn zurück, zehn weitere Göstemeyer-Jahre folgen, 1969 wird er in Bielefeld zum Meister ausgebildet, dann der Sprung in die Selbstständigkeit mit seiner eigenen Firma für Elektroinstallation, Heizungstechnik, Mess- und Regeltechnik sowie Energiesparsysteme.

Der 91-Jährige: „Ich bin froh, wenn etwas lange hält“

Sein Steckenpferd: Ölheizungen und deren möglichst effiziente Einstellung. „Ich habe es damals und auch heute noch immer wieder gesehen: So gut wie nirgendwo stimmte die Leistung, die Geräte wurden überdimensioniert eingestellt.“ Kleegräfe stellt Heizungen „von Lippstadt bis hinter Dortmund“ um, kann den Verbrauch im Regelfall extrem herunterschrauben, teilweise um mehr als die Hälfte. Das belegen die jahrzehntealten Messprotokolle, die er mit all seinen Aufträgen feinsäuberlich in seinem Keller-Büro archiviert hat, wo samstags und sonntags die Rechnungen geschrieben wurden und werden.

Im selbst umgebauten VW-Transporter ist alles auf Lager: „Man muss was da haben, sonst braucht man keinen Kundendienst machen“, sagt Fritz Kleegräfe.
Im selbst umgebauten VW-Transporter ist alles auf Lager: „Man muss was da haben, sonst braucht man keinen Kundendienst machen“, sagt Fritz Kleegräfe. © Daniel Schröder

„Es war für mich jedes Mal der größte Erfolg, wenn ich ein System wirtschaftlicher machen konnte, das hat mir den größten Spaß gemacht – macht es immer noch“, erzählt er. „Ich bin froh, wenn etwas lange hält, die Technik von damals funktioniert 30 Jahre und länger, da können moderne Geräte nicht mithalten. Ich bin in einer Notzeit groß geworden, da haben wir gelernt, Dinge nicht aufzugeben und zu reparieren.“ Stolz zeigt er Dankesbriefe von Kunden, die von Einsparungen berichten, die sie Fritz Kleegräfe zu verdanken haben.

91-jähriger Soest pfeift auf den Ruhestand - 1977 löschte er den Dom

Einen ganz besonderen Arbeitseinsatz der anderen Art hat er im Juni 1977, als er zusammen mit Steinmetzmeister Jürgen Brune die brennende Spitze des Soester Patrokli-Doms löscht.

Fritz Kleegräfe (rechts) und sein langjähriger Kollege Josef „Jupp“ Ermanntraut.
Fritz Kleegräfe (rechts) und sein langjähriger Kollege Josef „Jupp“ Ermanntraut. © Daniel Schröder

Einige Jahre später lernt Fritz Kleegräfe Josef „Jupp“ Ermanntraut kennen. Der Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik heuert in Kleegräfes Betrieb an. Bis heute sind die beiden Arbeitskollegen unzertrennlich. 2006, neun Jahre nach Kleegräfes frühestmöglichem Renteneintritt, übergibt er seine Firma an Sohn Thomas – doch wechselt er nicht in den Ruhestand, sondern lediglich vom Chefposten ins Angestelltenverhältnis. „Jupp und ich haben weitergearbeitet und sind unseren Kunden treu geblieben.“ 2016 verlässt er die Firma. Doch nicht, um seinen Lebensabend zu genießen. Er will nur wieder sein eigener Chef sein. Bis heute kümmern sich Fritz Kleegräfe und „Jupp“ Ermanntraut um die Heizungen ihrer Kunden.

Er ist überzeugt: „Sonst braucht man keinen Kundendienst machen“

Kleegräfe ist in einem weißen VW-Transporter unterwegs, den Laderaum hat er selbst umgebaut. Die Wände sind voller Ersatzteil-Schubladen: „Ich hab alles Nötige auf Lager, so kann ich vor Ort direkt reagieren – man muss was da haben, um zu helfen, sonst braucht man keinen Kundendienst machen.“

Rund 30 Stunden arbeitet Kleegräfe heute noch monatlich. Nicht des Geldes wegen, mit der Rente von 800 Euro kommt er klar, das Haus am Vogeler Weg ist abbezahlt. Die Arbeit hält ihn jung, sagt er: „Wer sich lange bewegt, der wird auch älter.“ Die 91 Lebensjahre merkt man dem Mann mit Blaumann und Hut nicht an – weder körperlich, noch geistig. So scheut er sich auch nicht davor, Dinge anzumarkern, die ihm nicht passen: Über die Knöllchen im August 2022 und April 2023 ärgert er sich. An einer seiner Baustellen stand ein Vorderreifen seines Transporters zum Teil auf einem Radweg, „der aber sowieso nicht benutzt werden konnte“. Nach seinem „erfolgreichen Einsatz“ am Brüggering fand er ein 50-Euro-Knöllchen unterm Scheibenwischer. „Das Geld habe ich auch bezahlt.“ Im April die nächste Knolle: Ein Kunde hatte Kleegräfe sonntags „wegen eines akuten Heizungsproblems“ gerufen, die vier Minuten Standzeit im Salzbrink kosteten den Heizungs-Retter 25 Euro. Er habe beim Ordnungsamt angerufen, sei dort jedoch auf taube Ohren gestoßen. Kleegräfe wünscht sich von der Stadt mehr Fingerspitzengefühl – in Attendorn oder Unna habe der Elektromeister im Laufe der Jahre gute Erfahrung gemacht. Wenn er dort in der Innenstadt zu tun gehabt habe, sei das Ordnungsamt stets „großzügig“ gewesen.

Fritz Kleegräfe schwört auf „die gute, alte Technik“.
Fritz Kleegräfe schwört auf „die gute, alte Technik“. © Daniel Schröder

Das ist jedoch nur Ärger am Rande, die Arbeit macht ihm weiter Spaß: „Jupp und ich sind immer noch am Kämpfen.“ Gleichzeitig versichert er mit einem Augenzwinkern: „Wenn ich was vorhabe, bin ich auch mal zu Hause, aber einiges kann der Jupp eben nicht allein machen.“ Gerne fährt Fritz Kleegräfe mit Ehefrau Elisabeth, die er nur „Elli“ nennt, in den Urlaub oder nach Bayern zu den beiden Töchtern. Auch zu Sohn Thomas, der die Firma des Vaters am Meister-Eckhart-Weg fortführt, pflegt er ein gutes Verhältnis.

Energiesparen war für ihn schon immer das oberste Thema

Im Laufe der Jahrzehnte habe sich die Gesellschaft verändert, zieht Kleegräfe den Vergleich zu damals: „Es hat keiner mehr Zeit, es herrscht viel mehr Stress. Alle reden heute plötzlich wie verrückt vom Energiesparen.“ Für Fritz Kleegräfe ist Energie-Ersparnis seit jeher ein Teil seiner Lebensaufgabe. Über aktuelle politische Entscheidungen zum Thema Heizen sagt er nicht viel: „Viele, die da irgendwas beschließen, sind Laien, das erkennt man an dem, was sie beschließen.“

Fritz Kleegräfes Profession sind Ölheizungen, von Wärmepumpe und Co. hat Kollege „Jupp“ – mittlerweile selbst 65 Jahre jung – die Ahnung. Ebenso von den mittlerweile unausweichlichen Arbeiten am Computer. In Kleegräfes Archiv finden sich fast ausschließlich handgeschriebene Dokumente. „Wir ergänzen uns perfekt“, sagt „Jupp“ Ermanntraut. „Natürlich ist die neue Technik heute etwas anderes, aber Fritz hat eine unglaubliche Erfahrung, die ihm niemand nehmen kann.“

Und wann ist „bald“?: „Das kann ich doch jetzt noch nicht sagen..“

Kleegräfe sagt, dass er weiter um „Erfolg im Alltag“ und um Anerkennung kämpfen wolle. „Spaß an der Arbeit ist die Voraussetzung. Viele wollen mit 60 Jahren in Rente gehen, machen fünf Jahre im Garten und gehen dann tot. Das muss doch nicht sein. Wer nichts mehr tut, nichts mehr lernt, wird in der Birne müde.“ Trotzdem sagt der 91-Jährige: „Ich will bald aufhören.“ Wann bald ist? „Das kann ich doch jetzt noch nicht sagen...“

Auch interessant

Kommentare