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(Schein)Selbstständigkeit: Eine allgemeingültige Festlegung für einzelne Berufe gibt es nicht!

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Das Bundessozialgericht hat in einem Urteil vom 24.03.2016 erneut klargestellt, dass die Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit nicht abstrakt für einzelne Berufs- oder Tätigkeitsfelder erfolgen kann. Jeder Einzelauftrag ist individuell zu beurteilen.

In der Entscheidung ging es um eine Krankengymnastin und Physiotherapeutin, die für eine andere Praxis als freie Mitarbeiterin Krankengymnastikbehandlungen in Form von Hausbesuchen durchführte. Im Rahmen einer Betriebsprüfung hatte die Deutsche Rentenversicherung entschieden, dass diese Krankengymnastin versicherungspflichtig beschäftigt ist und hierfür Beiträge nachgefordert. Das Sozialgericht hatte diese Entscheidung aufgehoben. Das Landessozialgericht änderte das Urteil jedoch ab und bestätigte die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers. Das Bundessozialgericht schloss sich dieser Bewertung an.

In den Entscheidungsgründen wird anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles herausgearbeitet, dass die Merkmale der abhängigen und damit versicherungspflichtigen Beschäftigung überwiegen. Klarstellend stellt das BSG zudem folgendes fest:

Für die Frage der Versicherungspflicht (ist) jeweils auf die Verhältnisse abzustellen, die nach Annahme des einzelnen Angebots (hier: Behandlungsregime eines Patienten) während dessen Durchführung bestehen.

Die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit erfolgt nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder. Es ist daher möglich, dass ein und derselbe Beruf – je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen in ihrer gelebten Praxis – entweder in Form der Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit erbracht wird. Maßgebend sind stets die konkreten Umstände des individuellen Sachverhalts.

Ausschlaggebend war für das BSG in erster Linie der Grad der Einbindung der Krankengymnastin in die Arbeitsabläufe und die Organisationsstruktur der Praxis und zwar auch, soweit sie Hausbesuche wahrnahm. Es kommt nicht darauf an, dass der Betroffene eine Tätigkeit in einer konkreten Betriebsstätte eines Arbeitgebers ausübt. Entscheidend ist, ob die zu beurteilende Tätigkeit im Wesentlichen fremdbestimmt organisiert wird. So verhielt es sich hier: Die Krankengymnastin behandelte im Abrechnungsverhältnis zur Praxis ausschließlich Patienten, deren Behandlung ihr auch von dieser Praxis angetragen wurde. Der erste Kontakt des Patienten zum Behandler erfolgte ausschließlich über die Praxis. Dabei fiel für das BSG nicht ins Gewicht, dass nach Behandlungsübernahme durch die Krankengymnastin weitere Terminabsprachen zwischen ihr und den Patienten erfolgten. Nach außen („am Markt“) trat lediglich die Praxis selbst in Erscheinung. Lediglich die konkrete Durchführung der Behandlung oblag der Krankengymnastin. Das Verhältnis zwischen Praxis und Krankengymnastin beschränkte sich daher nicht auf die bloße Abrechnung der Leistungen gegenüber den Krankenkassen, sondern umfasste weitergehende organisatorische Aspekte: Die Krankengymnastin hatte keine eigene Patientenkartei. Fahrkosten wurden ihr erstattet. Sie verfügte über keine eigenen Behandlungsräume. Bei der durchaus erforderlichen Inanspruchnahme von Räumen der Praxis ist vor diesem Hintergrund unter dem Blickwinkel des sozialversicherungsrechtlichen Status jedenfalls hinsichtlich der Einbindung in die Organisationsstruktur und in die Arbeitsabläufe der Praxis kein rechtlich bedeutsamer Unterschied im Vergleich zu den anderen, „festangestellten“ Beschäftigten dieser Praxis ersichtlich.

Die Entscheidung zeigt, dass entgegen einem weit verbreiteten Irrtum somit für einzelne Berufsgruppen oder Tätigkeitsformen keine abstrakte Festlegung erfolgen kann. Dies ist in allen Bereichen des Gesundheitswesens von Bedeutung. Dort sind seit längerem diverse Formen der freien Mitarbeit verbreitet, die von den Prüfdiensten der Rentenversicherung zunehmend kritisch gesehen werden (z. B. Honorarärzte im Krankenhaus, freiberufliche OP-Schwestern oder Krankenpfleger, Therapeuten in der ambulanten Versorgung, Notärzte im Rettungsdienst etc). Jeder Fall ist individuell zu betrachten.

Rechtssicherheit bietet allein eine behördliche Statusklärung, die bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund in Berlin beantragt werden kann.

Bundessozialgericht- Urteil vom 24.03.2016 – 12 KR 20/14 R

Link: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/export.php?modul=esgb&id=186939&exportformat=HTM

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