Altenstadt an der Waldnaab
20.03.2020 - 17:06 Uhr

Chirurg rechnet mit Krankenkasse ab

Die Fachartzkollegen des Altenstädter Chirurgen Stephan Meyer verschreiben pro Physiotherapie-Patient im Schnitt 1,84 Anwendungen. Bei Meyer sind es zwei. Zu viel meint die Barmer. Auf Facebook kritisiert Meyer die Krankenkasse scharf.

ARCHIV - 06.09.2007, Frankfurt (Oder): ILLUSTRATION - Ein Stempelkarussell (Stempelhalter) steht neben einem Stapel Akten auf einem Schreibtisch in einer Behörde. 520 000 Stunden Zeitersparnis allein bei der Gewerbeanmeldung - die NRW-Regierung ist stolz auf ihre Erfolge beim Entrümpeln unnötiger Vorschriften. Hinter die meisten Versprechen im Bürokratie-Kapitel ihres Koalitionsvertrags kann sie bereits einen Haken setzen. Foto: Patrick Pleul/zb/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Für Ärzte, Pfleger, Schwestern und medizinisches Fachpersonal bedeutet die aktuelle Coronakrise eine extreme Belastung. Aufgrund eines Schreibens der Barmer-Krankenkasse vom 27. Februar ist dem Altenstädter Chirurgen Stephan Meyer die Hutschnur geplatzt. In dem Brief bemängelt die Krankenkasse eine "überdurchschnittliche Verordnung Physiotherapie". Die Barmer schreibt weiter: "Versicherte haben nach Maßgabe der Gesetze Anspruch auf die Versorgung mit Heilmitteln. Eine Voraussetzung für den Anspruch ist, dass die Verordnung wirtschaftlich ist. Im Schreiben rechnet die Krankenkasse dem Mediziner vor, dass er im Verhältnis zu seinen Kollegen pro Physiotherapie-Patient mehr Behandlungseinheiten verschreibt. Während andere Ärzte im Kreis pro Patient 1, 84 Anwendungen verschreiben, sind es bei Meyer zwei. Offenbar keine große Differenz, dennoch möchte die Barmer mit ihm deshalb einen Beratungstermin vereinbaren.

In einem Facebookpost macht Meyer seinem Unmut Luft. Dort schreibt er: "Liebe Barmer: Während Kliniken, Praxen, Pfleger, Schwestern, MFAs (Medizinische Fachangestellte, Anmerkung der Redaktion) und Ärzte in den kommenden Monaten in den Krieg gegen ein Virus ziehen und Gesundheit und Leben riskieren werden, verkrümelt Ihr Euch schön gemütlich ins Homeoffice, den Parteienverkehr habt Ihr längst eingestellt." Während Selbstständige, Kleinunternehmer und Angestellte um ihre Jobs derzeit um ihre Jobs bangen müssten, sei das Einkommen der Krankenkasse auch in Krisenzeiten sicher. Meyer schiebt hinterher: "Und wenn irgendwann der Sturm vorbei ist, dann werdet es wieder Ihr sein, die ein nächstes Bürokratiemonster auf uns loslassen."

Bürokratie belastet Fachpersonal

Im persönlichen Gespräch mit Meyer wird noch einmal deutlicher, worum es dem Chirurgen eigentlich geht: "Mit dem Post wollte ich auf die ganze Bürokratie aufmerksam machen, die uns sehr belastet. Das trifft ja auch die Kliniken." Er bezeichnet es als "Absurdität", dass die Barmer ihn zu einem Beratungsgespräch lade, weil er gerade einmal 8,7 Prozent über dem Durchschnitt liege. Dass er über dem Mittel Physio verordne, sei dem Umstand geschuldet, dass er viele Sportverletzungen und Unfälle behandle. "Ich hätte mich nicht gewundert, wenn ich 50 Prozent über dem Schnitt läge und dann jemand nachfragen würde, was da bei mir los ist. Aber so?", sagt der Mediziner. Gerade in Zeiten der Coronakrise könne die Medizin allgemein keine so belastende Bürokratie gebrauchen. Meyer: "Die kommenden Monate werden sehr schwer. Wir wissen nicht, was da auf uns zukommt." Er könne sich vorstellen, dass es im Ernstfall soweit kommen könnte, dass er und seine Kollegen in vier Wochen in einem Not-Lazarett in voller Schutz-Montur Coronapatienten versorgen muss. Bisher habe sich die Krankenkasse noch nicht bei dem Mediziner gemeldet. Das dürfte ihr wohl auch nicht viel bringen. Meyer ist entschlossen: "Den Anruf nehme ich dann nicht an."

Barmer reagiert

Nachgefragt bei der Barmer in Bayern teilt Landespressesprecherin Stefani Meyer-Maricevic mit: "Herr Dr. Meyer wurde angesprochen, weil seine Verordnungen von Physiotherapien über dem facharztspezifischen Durchschnitt der KV Bayern liegt." Barmer habe am Anfang des Jahres eine "Dialogoffensive" gestartet, um unter anderem die Verordnungen wirtschaftlicher zu organisieren, damit die "Therapiesicherheit bei allen Patienten sichergestellt" werden kann. Meyer-Maricevic betont aber, dass das angelaufen sei, bevor sich die Coronakrise abzuzeichnen begann. Sie erklärt weiter, die Barmer wolle "nachfragen, ob Patienten – unter Berücksichtigung der individuellen Therapierisiken – zum Beispiel auch für Eigenübungsprogramme motiviert werden könnten". Selbstverständlich behielte der verordnende Arzt die "Therapiehoheit". Die Landespressesprecherin fügt hinzu: "Die Barmer handelt hier auch im Interesse ihrer Versicherten. Sie haben einen Anspruch darauf, dass ihre Beitragsgelder nach neuesten medizinischen Erkenntnissen möglichst wirtschaftlich eingesetzt werden."

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