Zum Inhalt springen
Zur Ausgabe
Artikel 30 / 120

PROMINENTE Professor Hokuspokus

Seine Bücher sind Bestseller, manchen gilt der Bochumer Arzt Dietrich Grönemeyer als Guru. Doch jetzt attackieren ihn Experten: Was der geschäftstüchtige Medikus sagt und tut, soll oft wissenschaftlicher Kokolores sein.
aus DER SPIEGEL 43/2006

Es war einer dieser Momente, in denen sich der Professor in Höchstform redet: Der Moderator in dem Hamburger Fernsehstudio hatte Prof. Dr. med. Dietrich Grönemeyer gerade als »Deutschlands bekanntesten Arzt« vorgestellt. Minutenlang waren die Kameras nun auf ihn gerichtet. Rechts neben ihm hörten Heide Simonis, Ex-Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, und Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen ergriffen zu, die Stichworte gab der Talkmaster.

Und so erzählte Dietrich Grönemeyer mit ausladenden Handbewegungen, wie er in seinem Institut in Bochum Patienten behandelt: sehr schonend, sehr modern, sehr erfolgreich. Dann wetterte er wie so häufig gegen die Krankenkassen. Die würden erfolgreiche Methoden zur Früherkennung von Herzinfarkten nicht bezahlen, die »ich vor 15 Jahren in Deutschland eingeführt habe«. Und er durfte erklären, wie er Krebstumoren zerstört, an die sich kein gewöhnlicher Kollege heranwagen würde.

Reinhold Beckmann, dem Gastgeber der Talkrunde am 3. April, stand vor Staunen leicht der Mund offen. »Das ist phantastisch«, sagte der ARD-Mann, »das hört sich so einfach an. Das hört sich so einfach an.«

Ist es aber nicht. In der Fachwelt brachte die TV-Runde denn auch das Fass zum Überlaufen. In einem Brief an den NDR-Intendanten Jobst Plog bezeichnen leitende Wissenschaftler der Deutschen Krebsgesellschaft und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg Grönemeyers Auftritt in der ARD als einen »Schlag ins Gesicht« all jener, die sich ernsthaft um die Heilung von Patienten bemühen.

Grönemeyer, gelernter Röntgenarzt, geht Fachleuten seit Jahren gehörig auf die Nerven mit seinen populärwissenschaftlichen Bestsellern ("Lebe mit Herz und Seele"), seinen Fernsehauftritten und vor allem seinen gewagten Thesen. Viele von Grönemeyers Theorien seien »wissenschaftlich nicht haltbar«, so der renommierte Forscher und DKFZ-Vorstand Otmar Wiestler sowie Michael Bamberg, erfahrener Strahlentherapeut und Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft. Grönemeyer wecke »unberechtigte Hoffnungen«, kritisieren die beiden. Es sei unerträglich, wie mit der Angst und Hilflosigkeit Betroffener finanzielle Vorteile erlangt würden, ergänzt Bamberg.

Mit dem Brief an Plog wurde deutlich, was viele deutsche Mediziner wirklich von der, laut Beckmann, »unbestrittenen Nummer eins der sanften Medizin« halten: Was Grönemeyer als Neuigkeit verkaufe, sei entweder medizinische Platitude oder aber Hokuspokus - und zudem teilweise gefährlich. Ärzte werfen dem Dampfplauderer schlichten Populismus und Geldschneiderei vor.

Dass der Bruder des Popsängers Herbert Grönemeyer zu »Deutschlands Medizin-Papst« ("Bild«-Zeitung) gemacht werden konnte, zeigt aber auch, wie abgeschottet der Medizinbetrieb vor sich hin werkelt. Während Grönemeyer in Talkrunden, Fernsehshows und Besinnungsbüchern ein Millionenpublikum in seinen Bann schlägt, amüsieren sich ernsthafte Wissenschaftler bei Fachkongressen über den Inhalt seiner Werke. Allzu lange nahmen die Fachleute den Mann aus Bochum schlicht nicht ernst; viele hielten es für unter ihrer Würde, sich mit ihm zu beschäftigen.

Doch nun wollen einige Experten Grönemeyers Eskapaden nicht länger ertragen. Bamberg und Wiestler etwa ärgerten sich besonders darüber, dass er ausgerechnet in der ARD-Themenwoche Krebs eine Bühne für sein Marketing in eigener Sache geboten bekam. Detailliert hatte Grönemeyer bei Beckmann beispielsweise beschrieben, wie er in seiner Bochumer Privatklinik Patienten Nadeln in den Rücken schiebt, das Tumorgewebe erwärmt und ruck, zuck vernichtet.

Dass derartige Pikserei wirke, sagt Wiestler, sei »wissenschaftlich nicht belegt«. Eine von Grönemeyer angebotene Heilmethode namens Hyperthermie wurde von der Deutschen Krebshilfe mit Millionenaufwand wissenschaftlich untersucht. Ergebnis: Die Therapie sei nicht wirklich überzeugend. Allenfalls bei sehr wenigen Krebserkrankungen und auch nur in Kombination mit einer Chemo- und Strahlentherapie zeige sie Wirkung.

1400 Euro sollte eine jüngst an Lungenkrebs erkrankte Frau für diese Behandlung in Grönemeyers Institut zahlen. Da könne man sich besser eine Wärmflasche auf den Rücken legen, sagt Klaus-Peter Thiele vom Kompetenz Centrum Onkologie in Düsseldorf.

Er erhebe gar nicht den Anspruch, als »Onkologe tätig zu sein«, rechtfertigt sich Grönemeyer. Ihm gehe es darum, seine Patienten »mit einem umfassenden Konzept zu betreuen«. Dafür stünden in seinem Institut »über 20 Fachärzte« zur Verfügung.

Ärgerlich war für die Krebsmediziner auch, dass der Mann ungerechtfertigt die Kassen attackiert. Zum Beispiel würden die Versicherungen Frauen mit Brustkrebs

das Medikament Herceptin verweigern, schimpfte Grönemeyer. Jedes Jahr könnte 40 000 Frauen ein »früher Tod erspart« bleiben, wenn die Versicherungen diese »wunderbare Therapie« bezahlen würden. Ein gewaltiger Vorwurf - nur irrte der Professor: Das Medikament ist, so das DKFZ, nur bei etwa 25 Prozent der Patientinnen wirksam, und die Kosten werden im Rahmen der zugelassenen Indikation sehr wohl von den Kassen übernommen. Man möge ihm »verzeihen«, antwortete Grönemeyer an NDR-Chef Plog, »dass ich in der Kürze der Zeit nicht präziser mit Zahlen argumentiert habe«.

Was die Mediziner Grönemeyer jetzt vorhalten, passt gar nicht in das bisher so rosige Bild des vermeintlichen Genies. Mit seiner sprühenden Beredsamkeit bewies der in Sprockhövel bei Wuppertal wohnende Arzt oftmals mehr Showtalent als sein musizierender Bruder. Er talkte bei »Beckmann«, »Johannes B. Kerner«, »Herman & Tietjen«, parlierte mit Michail Gorbatschow, er prüfte die Fitness der Deutschen in einer Samstagabendshow und füllt die Spalten von der »Wirtschaftswoche« bis zur »Frau im Spiegel«. Besonders die »Bild«-Zeitung trug mit Interviews und Serien dazu bei, dass dieser angeblich »begnadete Operateur« zum »berühmtesten Arzt Deutschlands« werden konnte.

Entscheidenden Anteil daran haben seine Bücher: über die »liebevolle Medizin«, über den Rücken, über seine sieben Wege zum Glücklichsein. Die Fachwelt nahm diese Werke indes kaum wahr. In einer Rezension über Grönemeyers »Mensch bleiben« schrieb eine Ärztezeitschrift nur knapp, die Schlussfolgerungen seien »abenteuerlich«, das Buch »braucht eigentlich niemand«.

Aber die drögen Experten unterschätzen den Zeitgeist. Grönemeyer bedient mit seinen wolkigen Sätzen über sanftes Heilen jene Klientel, die die Apparatemedizin verabscheut: »Wenn nachts mir eine Sternschnuppe bis ins Herz fliegt oder ich den betörenden Duft einer frischgemähten

Wiese einatme, dann kann eine solche kosmische Erfahrung der Natur zur Aufhebung von Denkblockaden und Einsamkeit führen.«

Doch in seiner Klinik neigt Grönemeyer zu eher belastenden - und teuren - Methoden. So durchleuchtet er seine Patienten gern mit dem Computertomografen, wenn er ihnen Spritzen in den Rücken setzt. Eine CT aber bedeutet hohe Strahlenbelastungen, zumal Rückengeplagte oft viele Male hintereinander bearbeitet werden.

Ausgebildete Orthopäden schaffen es auch ohne Hightech, die richtige Stelle am Rückenwirbel zu treffen. Eine »zusätzliche Geldquelle« sieht Dietmar Stolke, Leiter der Neurochirurgie in der Essener Uni-Klinik, hinter solchen Anwendungen. Neben der Strahlenbelastung kommt es bei solchen Spritzenkuren immer wieder zu gravierenden Infektionen am Rückgrat. »Grönemeyer hat seine Behauptung, er würde mit seinen Behandlungen Operationen ersparen, bis heute nicht bewiesen«, kritisiert zudem Christoph Goetz, Chefarzt an der Endo-Klinik Hamburg.

Besonders die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ärgert die Fachwelt. So sieht sich Grönemeyer selbst seit Jahren »an der Spitze der internationalen Forschung und Entwicklung« sowie als Motor einer »revolutionären Umgestaltung der Medizin«.

Mediziner bemängeln aber, dass er die Ergebnisse seiner Arbeit - anders als im Medizinbetrieb üblich - nicht detailliert und umfassend veröffentlicht. Professoren seines Alters bringen es für gewöhnlich auf Dutzende oder gar Hunderte wissenschaftlicher Aufsätze in renommierten Fachzeitschriften.

Statt sich auf diese langweilige Art mit Wissenschaftskollegen inhaltlich auszutauschen, besinnt sich Grönemeyer lieber auf seine wahre Stärke: das Marketing. Seine herausragende Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen, bescherte ihm schon eine üppige Starthilfe. 1991 und 1992 gingen 26,1 Millionen Mark an Grönemeyer und dessen damaligen Geschäftspartner Rainer Seibel für ihr Bochumer Entwicklungs- und Forschungszentrum für Mikrotherapie GmbH (EFMT).

Fürsprecher Grönemeyers war der damalige NRW-Gesundheitsminister Hermann Heinemann. Der Sozialdemokrat schwärmte von Grönemeyer und den »revolutionären« Therapiemöglichkeiten des EFMT. Als bekannt wurde, dass der Minister Patient in der Praxis Grönemeyer/Seibel war, erwirkte die Opposition einen Untersuchungsausschuss, Heinemann musste zurücktreten.

Grönemeyer aber schuf alsbald ein verzweigtes Firmenimperium für medizinische Dienstleistungen aller Art. Haupteinnahmequelle des Meisters ist bis heute das »Grönemeyer Institut für Mikrotherapie«, in dem vornehmlich Krebs- und Rückenpatienten behandelt werden. Der Promi-Bonus sorgt für gutgefüllte Wartezimmer, und manche Patienten zahlen viele tausend Euro für die Behandlung. »99,35 Prozent« würden das Institut weiterempfehlen - hat eine eigene Patientenbefragung ergeben. Auch wenn der Meister nach eigenen Angaben nur an »mindestens zwei Tagen in der Woche« als Arzt tätig ist.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) nahm Grönemeyers Institut schon vor sechs Jahren unter die Lupe - mit einem unschönen Ergebnis. Es würden zum Beispiel Medikamente »außerhalb der zugelassenen Indikationen« eingesetzt, heißt es in dem Gutachten. Außerdem werde Kortison gespritzt, was sich nicht mit dem »naturheilkundlichen« Anspruch des Instituts vertrage. Besonders kritisierte der MDK aber die strahlenintensiven Spritzenkuren und die gewaltigen Kosten.

Ein solches Gutachten sei ihm nicht bekannt, ließ Grönemeyer nun auf Anfrage mitteilen. Die Medikamente würden im Rahmen zugelassener Indikation verwendet, und Kortison sei »ein natürliches Produkt des menschlichen Körpers«. Die Strahlenbelastung sei gering und die Behandlung insgesamt »wirtschaftlich und effektiv«, da sie teure Operationen und Krankenhausaufenthalte vermeiden könne.

Ein »verständnisvoller Arzt« sollte versuchen, mit intensiven Gesprächen die wahre Ursache einer Krankheit zu finden, ist eine der Kernthesen von Grönemeyer. Wie schnell er selbst aber einen ganzen Maschinenpark auffährt, wenn es um die eigene Kasse geht, zeigt der Fall einer 53jährigen Frau aus Hessen. Wegen ihrer Rückenschmerzen war sie nach eigenen Angaben siebenmal bei Grönemeyer und erfuhr das ganze Programm. All dies sei »völlig überflüssig gewesen«, stellte nachher ein Gutachter fest. Der Frau ging es erst besser, als die Ursache für die Rückenschmerzen therapiert wurde: Sie litt unter Depressionen. Die Kritik des Gutachters sei »medizinisch nicht nachvollziehbar«, meint dazu Grönemeyer.

Jedem Kassenpatienten ist es sympathisch, wenn der Professor den Trend zur Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland geißelt. Dass er in seinem Institut einen »Grönemeyer VIP-Service« für die wichtigen Menschen im Lande unterhält, steht indes nur in einem internen »Fact Book«. Der VIP-Service, so Grönemeyer, sei gedacht »für Einzelfälle« und für Menschen mit »Sicherheits- oder ähnlichen Bedürfnissen«.

Bemerkenswert ist auch die Geschichte, wie der bis dahin weitgehend unbekannte Grönemeyer im Ruhrgebiet an seinen Professorentitel kam. 1982 hatte Konrad Schily, Gründungspräsident der Privatuniversität Witten/Herdecke und heute als Gesundheitsexperte der FDP im Bundestag, große Mühe, angesehene Wissenschaftler für die junge Hochschule zu gewinnen. Also nahm er Grönemeyer.

Normalerweise erhält ein Professor den Ruf wegen seiner wissenschaftlichen Leistungen - oder er legt eine umfangreiche Habilitationsschrift vor. Bei Grönemeyer reichte eine magere Sammlung von Publikationen. Externe Gutachter hätten seinerzeit festgestellt, so Grönemeyer heute, dass er die »notwendigen Kriterien« erfüllt habe.

Richtig glücklich wurde die Universität mit Grönemeyers sogenanntem Lehrstuhl für Radiologie und Mikrotherapie - dergleichen gibt es nirgendwo anders - dann aber nicht. Mal warfen Kollegen ihm Mängel in der Betreuung der Studenten vor, mal bizarre Aussagen über das Gesundheitswesen.

Doch Grönemeyer klebt bis heute an seinem Lehrstuhl. Und wenn Experten seine Thesen kritisieren, verweist er darauf, dass dergleichen von der »Freiheit des Wissenschaftlers« gedeckt sei.

UDO LUDWIG, BARBARA SCHMID

* 2003 bei der Verleihung der World Awards in Hamburg.

Zur Ausgabe
Artikel 30 / 120

Mehr lesen über