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Neue Metaanalyse

Achillessehnenruptur: Operation oder konservativ?

<p class="article-intro">Wie man eine gerissene Achillessehne behandeln soll, wird kontrovers diskutiert. Jetzt bringt eine Metaanalyse von Forschern aus den Niederlanden mehr Klarheit: Die Operation reduziert zwar das Risiko für eine Reruptur mehr als das konservative Vorgehen mit Gips und Orthese, aber erneute Rupturen kommen allgemein selten vor und die absolute Risikodifferenz ist gering. Dafür kommt es bei der Operation – was nicht überrascht – häufiger zu Komplikationen, meist Infektionen.<sup>1</sup></p> <hr /> <p class="article-content"><p>Belasten und bewegen konnten die Patienten beider Gruppen das Sprunggelenk nach vergleichbarer Zeit. &laquo;Das heisst jetzt aber nicht, dass die Behandlungsstrategie egal ist&raquo;, sagt Dr. med. J&ouml;rn Dohle, Pr&auml;sident der Deutschen Assoziation f&uuml;r Fuss und Sprunggelenk und Leiter der Abteilung f&uuml;r Orthop&auml;die am Helios Klinikum Schwelm in Nordrhein-Westfalen. &laquo;Die Entscheidung h&auml;ngt von individuellen Faktoren ab. Um diese alle zu ber&uuml;cksichtigen, muss man sich Zeit f&uuml;r das Patientengespr&auml;ch nehmen.&raquo;<br /> Ohne Behandlung besteht das Risiko, dass die Sehne zu lang bleibt. &laquo;Die Sehne wird dann bei jedem Schritt gedehnt&raquo;, sagt Dohle. &laquo;Ich sehe regelm&auml;ssig Patienten, die nicht registriert haben, dass ihnen die Achillessehne gerissen ist, oder die das ignoriert haben. Die Patienten k&ouml;nnen dann zwar gehen, aber nicht mehr schnell joggen oder auf Zehenspitzen gehen, weil ihnen die Kraft fehlt.&raquo;</p> <h2>Kein Aus f&uuml;r den konservativen Ansatz</h2> <p>Gerne erz&auml;hlt der Orthop&auml;de die Geschichte von den Sklaven in der Antike: &laquo;Ihnen hat man mit einer Tonscherbe die Achillessehne durchtrennt. So konnten sie zwar noch gehen und arbeiten, aber nicht mehr weglaufen &ndash; das ist f&uuml;r jeden Patienten das schlagende Argument, dass man die gerissene Sehne vern&uuml;nftig behandeln muss.&raquo;<br /> Die neue Metaanalyse best&auml;tigt, worauf fr&uuml;here Studien hingewiesen haben: Zwar kommt es beim konservativen Vorgehen &ouml;fter zu Rerupturen, aber der Unterschied ist klinisch wenig relevant. Vorteile der Operation erkauft man sich mit einem etwas h&ouml;heren Komplikationsrisiko. Die niederl&auml;ndischen Forscher werteten 29 Studien aus Europa, den USA und Neuseeland mit insgesamt 15 862 Patienten aus. 9375 wurden operiert, 6487 konservativ behandelt. Die Patienten waren im Schnitt 41 Jahre alt, die meisten waren M&auml;nner. Bei 2,3 % der operierten Patienten und bei 3,9 % der konservativ behandelten Patienten riss die Sehne w&auml;hrend des Nachbeobachtungszeitraumes noch einmal &ndash; das entspricht einer absoluten Risikodifferenz von 1,6 Prozentpunkten.<sup>1</sup> &laquo;Den Unterschied sieht man zwar in Zahlen, aber er ist so klein, dass das kein Aus f&uuml;r das konservative Vorgehen bedeutet&raquo;, sagt Dohle.<br /> Nach der Operation kam es bei 4,9 % der Patienten zu Komplikationen, bei den konservativ therapierten Patienten in 1,6 % der F&auml;lle, was einer absoluten Risikodifferenz von 3,3 Prozentpunkten entspricht. An Komplikationen wurden Lungenembolie, Beinvenenthrombose, Wund- oder Hautinfektionen, Verletzungen des Nervus suralis, chronische Schmerzen und Narbenverklebungen beschrieben. Infektionen traten dabei mit 2,8 % bei den operierten Patienten am h&auml;ufigsten auf.<sup>1</sup> &laquo;Die Achillessehne ist f&uuml;r Infektionen pr&auml;disponiert&raquo;, sagt Dohle. &laquo;Die Haut ist d&uuml;nn und an dieser Stelle schlecht durchblutet.&raquo; Deshalb w&uuml;rde er bei Patienten mit einem Risiko f&uuml;r Wundheilungsst&ouml;rungen eher von der Operation abraten.<br /> Das funktionelle Outcome wurde mit dem &laquo;Achilles tendon Total Rupture Score&raquo; (ATRS) ermittelt, dieser unterschied sich langfristig nicht zwischen operativem und konservativem Vorgehen. Auch die Zeit, bis die Patienten wieder arbeiten oder Sport betreiben konnten, war vergleichbar.</p> <h2>Wundheilung selbst bei Gesunden kritisch</h2> <p>&laquo;Beide Methoden f&uuml;hren zu guten Ergebnissen &raquo;, sagt Dohle. &laquo;Aber jedes Verfahren hat Vor- und Nachteile, die es bei der individuellen Entscheidung zu ber&uuml;cksichtigen gilt.&raquo; Klarer Vorteil des konservativen Vorgehens ist, dass keine Narkose notwendig ist, dass die Behandlung weniger kostet und keine Wundheilungsst&ouml;rungen auftreten k&ouml;nnen. &laquo;Das ist wirklich ein Problem, das man nicht untersch&auml;tzen darf&raquo;, sagt Dohle. &laquo;An dieser Stelle ist die Wundheilung selbst bei gesunden jungen Patienten oft kritisch. Wenn noch Diabetes oder Durchblutungsst&ouml;rungen dazukommen, steigt das Risiko deutlich.&raquo;<br /> Die konservative Behandlung hat allerdings den Nachteil, dass die Sehne etwas verl&auml;ngert ausheilen k&ouml;nnte. Die Betroffenen sind dann nicht mehr in der Lage, sich beim Gehen, Laufen oder Treppensteigen kr&auml;ftig vom Boden abzustossen; die Probleme &auml;hneln denen bei einer chronischen Achillessehnenruptur. &laquo;Man kann eine elongierte Sehne zwar operieren, aber so ein Eingriff ist technisch erheblich schwieriger als eine prim&auml;re Operation&raquo;, so Dohle. &laquo;Es dauert l&auml;nger, bis die Patienten wieder fit sind und das Ergebnis ist meistens schlechter, als wenn man sofort operiert h&auml;tte.&raquo;<br /> Die Metaanalyse sei zwar gut gemacht, habe aber einen grossen Schwachpunkt: &laquo;Die Funktion der Achillessehne ist nicht ad&auml;quat beurteilt worden. Der ATRS gibt nur einen oberfl&auml;chlichen, subjektiven Eindruck des Patienten wieder.&raquo; Wirklich die Funktion zu messen sei aber aufwendig. &laquo;Man m&uuml;sste vern&uuml;nftige Studien mit verschiedenen Tests machen und die Patienten zum Beispiel auf einem Bein h&uuml;pfen oder auf Zehenspitzen laufen lassen oder die Kraftentfaltung der Wadenmuskulatur technisch messen. Derartige Studien sind sehr aufwendig, weshalb die Fallzahlen meistens nur klein sind, was dann die Aussagekraft reduziert.&raquo;</p> <h2>Die individuelle Entscheidung braucht Zeit</h2> <p>Viel Zeit nimmt sich der Orthop&auml;de, um dem Patienten Vor- und Nachteile der jeweiligen Behandlung zu erkl&auml;ren und um sich ein Bild davon zu machen, von welcher Behandlung er am meisten profitieren w&uuml;rde. Als grobe Altersgrenze gilt 55 Jahre &ndash; darunter wird eher operiert, dar&uuml;ber eher konservativ vorgegangen. &laquo;Das ist aber nur ein Aspekt, enorm wichtig ist auch der Lebensstil.&raquo; So sei wom&ouml;glich f&uuml;r eine 25-j&auml;hrige, ansonsten gesunde Joggerin eine Operation besser, aber f&uuml;r einen 57-j&auml;hrigen &uuml;bergewichtigen Sportmuffel Gips und Orthese &ndash; er braucht nicht so viel Kraft im Fuss wie ein Sportler und durch sein &Uuml;bergewicht hat er ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r Wundheilungsst&ouml;rungen. Auch eine 35-j&auml;hrige &Uuml;bergewichtige, die als Sport allenfalls moderat Fahrrad f&auml;hrt, w&uuml;rde eher vom konservativen Vorgehen profitieren. Geht sie aber gerne Tango tanzen, w&auml;re wom&ouml;glich eine Operation besser.<br /> Einem 75-J&auml;hrigen w&uuml;rde Dohle eher zur konservativen Strategie raten, auch wenn er sportlich ist. &laquo;Ich kenne wenige 75-J&auml;hrige, die engagierte Hobbyfussballer sind oder sonst viel Kraft beim Abstossen brauchen&raquo;, sagt er. &laquo;Daf&uuml;r ist das Risiko wegen des h&ouml;heren Alters und der d&uuml;nnen Haut f&uuml;r Wundheilungsst&ouml;rungen so gross, dass man es nicht unbedingt riskieren sollte &ndash; vor allem wenn er zus&auml;tzlich noch eine Arteriosklerose hat.&raquo; Ist der 75-J&auml;hrige aber noch so fit und sportlich, dass er ein biologisches Alter von 65 hat, k&ouml;nne man &uuml;ber eine Operation durchaus nachdenken. &laquo;Wir &Auml;rzte k&ouml;nnen nur versuchen, dem Patienten alle Aspekte verst&auml;ndlich zu erkl&auml;ren &ndash; entscheiden muss er sich letztendlich selbst&raquo;, so Dohle.<br /> Wenn operiert wird, sollte man alle Massnahmen treffen, um Wundheilungsst&ouml;rungen zu vermeiden. &laquo;Die minimal invasiven Techniken sind ein echter Gewinn &raquo;, sagt Dohle. Dass man schonend operiert, versteht sich von selbst, auch dass Gips und Orthese postoperativ so angelegt werden, dass keine Druckstellen entstehen.<br /> Das &laquo;Sorgenkind&raquo; der pr&auml;ventiven Massnahmen sei der Rauchstopp, den nur wenige schaffen. Vor einer geplanten Achillessehnen-Naht versucht Dohle einzusch&auml;tzen, wie gross die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Patient aufh&ouml;rt zu rauchen. &laquo;Habe ich das Gef&uuml;hl, er schafft es nicht, rate ich lieber von dem Eingriff ab. Das ist die &auml;rztliche Kunst, dass wir hier nicht nur die k&ouml;rperlichen Aspekte im Blick haben m&uuml;ssen, sondern auch die Psyche.&raquo;</p> <h2>Prozedere bei Achillessehnenruptur<sup>2</sup></h2> <p>Die Ruptur der Achillessehne ist eine der h&auml;ufigsten Verletzungen. Am h&auml;ufigsten sind Menschen zwischen 35 und 45 Jahren betroffen, aber weil immer mehr &auml;ltere Menschen sportlich aktiv sind, k&ouml;nnte die Inzidenz im h&ouml;heren Lebensalter steigen. Pr&auml;disponierend wirken lokale Kortisoninjektionen in die Sehne, eine systemische Kortikoidtherapie und eine Immunsuppression, etwa bei Nierentransplantation oder rheumatischen Erkrankungen.<br /> Die Sehne reisst in der Regel durch indirekte Zugwirkung, meist komplett in der Mitte, 2&ndash;6 cm proximal des Ansatzes. Bei der konservativen Behandlung wird der Fuss in Plantarflexion in einem Spezialschuh oder einer Orthese fixiert und der Patient angehalten, sich mit Unterarmst&uuml;tzen weiter zu mobilisieren.<br /> Operationsstandard ist heutzutage das minimal invasive Vorgehen, das gegen&uuml;ber der offenen Naht mit einem geringeren Infektionsrisiko einhergeht. Nach der Operation wird der Fuss mit Unterschenkelgips oder Walkerstiefel in Plantarflexionsstellung mit zeitlich gestaffelter Reduktion der Absatzerhöhung f&uuml;r 4&ndash;6 Wochen ruhig gestellt, dann erfolgt die funktionelle Nachbehandlung mit Spezialschuh oder Orthese.<br /> Alle Patienten sollten begleitend Physiotherapie mit Koordinations&uuml;bungen erhalten. Ist die Sehne geheilt, stehen Krafttraining, Bewegungsübungen und Gangschulung auf dem Programm.</p> <p><br /><em>Lesen Sie auch:</em> <a href="https://at.universimed.com/fachthemen/1000001617">&laquo;Wesentlich sind die Auswirkungen auf die Muskulatur&raquo;</a></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Ochen Y et al. BMJ 2019; 364: k5120 <strong>2</strong> Richter M: Aktualisierte Leitlinien Fuss und Sprunggelenk. Fuss &amp; Sprunggelenk 2010; 8: 268-87</p> </div> </p>
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