Schweden: Wir setzen auf Schutz der Risikogruppe und Freiwilligkeit

Der Arzt Rainer Gatz arbeitet auf einer schwedischen Intensivstation. Er schildert, wie es Schweden gelungen ist, die Pandemie mit Augenmaß zu bekämpfen.

Stockholm: Zwei junge Frauen sitzen mit Mund-Nasen-Schutz in einer U-Bahn. 
Stockholm: Zwei junge Frauen sitzen mit Mund-Nasen-Schutz in einer U-Bahn. AP/Jessica Gow/TT NEWS AGENCY

Schweden hat die Corona-Pandemie bisher gut gemeistert, obwohl das Land eine andere Strategie gefahren hat als die meisten anderen Länder der Welt. Diese Auffassung vertritt Rainer Gatz, ein aus dem Sauerland stammender Intensivmediziner, der am Krankenhaus von Ystad an der Südküste Schwedens arbeitet: „Wir haben auf den gezielten Schutz der Risikogruppen und gleichzeitig auf Eigenverantwortung und Freiwilligkeit gesetzt.“ Ystad ist Teil der Region Schonen (schwedisch: Skåne), das Krankenhaus eher klein und Teil eines Verbundes mit den großen Krankenhäusern in Malmö und Lund. Es ist ein Akutkrankenhaus mit einer breiten Grundversorgung, vor allem im medizinischen, chirurgischen und geburtshilflichen Bereich. Die Intensivstation hat zurzeit fünf Plätze, davon zwei für intermediärmedizinische Fälle, also solche Menschen, die zu krank für eine Normalstation sind, aber noch nicht die ganze Intensivmedizin brauchen.

Gatz, der in Aachen studiert hat und seit 2003 in Skandinavien arbeitet, sagte dieser Zeitung, dass die Pandemie-Bekämpfung anfangs schlecht war. Das Besuchsverbot in den Pflegeheimen sei zu spät gekommen. Außerdem gibt es strukturelle Probleme: „Wir haben im Bereich der Altersheime einen schleichenden Prozess von Privatisierungen hinter uns. Viele Pflegekräfte sind oft nur auf Stunden- oder Tagesbasis angestellt. Eine Lohnfortzahlung haben diese Zeitangestellten nicht. Daher sind viele trotz Krankheitssymptomen zur Arbeit in den Heimen erschienen, weshalb es zu einer hohen Übersterblichkeit gekommen ist.“

Doch nach den Anfangsschwierigkeiten habe ein Konzept gegriffen, das auf gravierende Zwangsmaßnahmen weitgehend verzichtet habe. Gatz: „Wir haben einige Dinge empfohlen, die wirklich geholfen haben – wie etwas das Einhalten von Abständen.“

„Eine Maskenpflicht gab es nur für bestimmte medizinische Bereiche, sonst war das Tragen von Masken freiwillig. Außerdem waren sie zeitweilig im Nahverkehr dringend empfohlen. In den Schulen gab es Präsenzunterricht für die Kinder von einem Alter bis zu 14 Jahren. Was sich geändert hat, ist, dass wir unsere Kinder aus Kindergärten und Schulen schon bei geringen Krankheitszeichen holen mussten. Das haben wir früher so nicht gemacht.“ Diese Maßnahmen hätten, so Gatz, trotz des Offenhaltens von Geschäften, Restaurants und Unternehmen dazu geführt, „dass wir in diesem Winter viel weniger klassische Atemwegserkrankungen oder andere Virusinfektionen wie Durchfall hatten als früher“.

Der Intensivmediziner Rainer Gatz
Der Intensivmediziner Rainer GatzPrivat

Covid-19 sei eine Virus-Erkrankung, die sehr gefährlich werden könne – wie etwa die Influenza auch. Gatz: „Sie können von der Symptomatik her im Einzelfall eine Influenza nicht von Covid unterscheiden. Die Übertragbarkeit als solche könnte ähnlich sein, doch traf das Coronavirus auf eine Bevölkerung, die ihm bislang noch nicht begegnet und dementsprechend empfänglich für die Erkrankung war. Covid-19 trat im Jahr 2020 viel massiver auf, viel mehr Fälle gleichzeitig kamen in die Krankenhäuser. So etwas führt ohne Vorkehrungen schnell zu einer Überlastung des Gesundheitssystems. Eine zweite Eigenheit, die Covid von der Influenza unterscheidet, ist die Blutgerinnung. Hier gibt es Probleme, über deren Ursachen wir zu wenig wissen und deren Brisanz wir im Zuge der Impfungen erkannt haben.“ Ansonsten wirke sich Covid aus wie eine Influenza. Der Ablauf ist im schlimmen Fall derselbe: „Der Kampf um das Überleben ist oft fürchterlich. Es kann ein Kampf über Tage oder gar Wochen sein, mit verschiedenen Atemhilfen, mit der Bauchlage, mit Luftnot bei geringster Anstrengung.“ Auch junge Patienten können an Covid-19 sterben: „Der Verlauf ist allmählich – typischerweise ein paar Tage krank zu Hause, dann eine Woche auf einer Normalstation, dann eine Woche mit Atemhilfen, dann an einer Beatmungsmaschine, dann erst tritt der Tod ein.“

Er habe solche Fälle sowohl bei Influenza als auch bei Covid gesehen. Der Rückgang der Sterblichkeit habe, so Rainer Gatz, auch mit einem Lernprozess zu tun, der am Ende auch bei der Influenza-Behandlung vermutlich Verbesserungen bringt – denn bislang ist die Influenza noch nicht wieder aufgetreten: „Wir haben gesehen, dass wir die Patienten nicht sofort an das Beatmungsgerät anschließen müssen. Auch die Unterstützung der Atmung durch Schläuche in die Nase (HFNC – high flow nasal canula) hat gute Erfolge gezeigt.“ Ein großes Problem sei, dass es weiterhin keine den Antibiotika vergleichbaren hocheffektiven Medikamente gegen die Folgen von Viruserkrankungen gebe: „Wir haben für diese Art der Erkrankung faktisch nur die Möglichkeit der Symptombehandlung, obwohl seit vielen Jahren intensiv nach einem Medikament geforscht wird. Die bakteriellen Komplikationen sind in aller Regel behandelbar, die Pilzerkrankungen hingegen oft nicht.“

Die Impfung hält Rainer Gatz für Personen über 80 Jahre und für männliche Personen ab 60 Jahren mit Fettleibigkeit und Bluthochdruck für „definitiv richtig und unbedingt angeraten“. Bei allen anderen Altersgruppen „fühle ich mich unsicher“. Bei Personen unter 40 Jahren seien diese Risiken der Impfung vielleicht höher als die der Folgen der Erkrankung, für Jugendliche und Kinder sagt Gatz „definitiv nein“ zu einer Impfung, solange keine Daten über die Langzeitfolgen vorliegen.

Besonders problematisch findet Gatz die nun von der Bundesregierung forcierte dritte Impfung, die sogenannte „Auffrischung“, die in den USA „booster“ genannt wird: „ Die Impfungen basieren auf der Produktion des sogenannten Stachel-Proteins (spike protein). Dieser Vorgang birgt wegen der möglicherwiese überschießenden Immunreaktion eindeutig die Gefahr von Thrombosen-Bildung. Mir ist die wissenschaftliche Grundlage dafür zu unsicher, um ein drittes Mal auf diese Art zu impfen. Ich persönlich fühle mich da sehr unwohl.“ Gatz sagt, es wäre sehr wichtig, dass alle eventuellen Nebenwirkungen unbedingt gemeldet und zeitnah ausgewertet werden: „Es ist nicht zu akzeptieren, wenn ein Arzt eine eventuelle schwere Nebenwirkung in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu einer Impfung nicht meldet.“

Im schwedischen Schonen ist die Belastung mit den Folgen des Coronavirus seit März sehr niedrig. Seit mehreren Wochen schwankt die Zahl der mit dieser Erkrankung in den Krankenhäusern der Region Behandelten zwischen fünf und zehn, Anfang des Jahres war sie zehn Mal so hoch. Allerdings stieg die Zahl der Hospitalisierungen in den vergangenen Tagen leicht, eine Entwicklung, die der Intensivmediziner täglich überprüft. Gatz sieht wesentliche Unterschiede bei den Gesellschaften in Deutschland und Schweden: „Ich kann die Polarisierung des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland nur schwer ertragen. Auch in Schweden gibt es sehr unterschiedliche Meinungen zur Pandemie und den Maßnahmen gegen diese, doch ich erlebe es nicht, dass diese Unterschiede Familien- und Freundschaftsbande bedrohen.“

Gatz sagt, dass aus dem schwedischen Weg vor allem gelernt werden könne, dass alle Teile der Gesellschaft miteinander im Gespräch bleiben und miteinander ohne Diffamierung und gegenseitige Ausgrenzung die besten Lösungen zur Überwindung der Krise suchen sollten.