Wenn das Trampolin zum Katapult wird: Zahl der verletzten Kinder steigt rasant an – was können Eltern und Pädiater tun?

Dr. Thomas Meißner

Interessenkonflikte

26. August 2016

Trampoline sind bei Kindern und Jugendlichen ungemein beliebt und gehören längst zur üblichen Ausstattung in Freizeitparks, auf Indoor-Spielplätzen und in privaten Gärten. Doch Trampoline seien keine Spiel-, sondern Sportgeräte, betonen Unfallchirurgen und Orthopäden immer wieder. Weltweit beobachten sie eine stetige Zunahme von Verletzungen, die nicht selten schwer sind: Eine Studie an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Murnau hat ergeben, dass fast jedes dritte der dort nach Trampolin-Unfällen versorgten Kinder Frakturen, Luxationen oder Rupturen erlitten hatten. Eine Erhebung in Bochum offenbarte eine Frakturquote von 42%.

Die Zahl der Kinder, die sich in Indoor-Trampolinparks verletzen, wird zunehmend größer. Dr. Christopher Mulligan und Kollegen

92.000 Notaufnahmen pro Jahr in den USA

Bestätigt wird dies durch Daten aus Nordamerika sowie aus Australien. In Down Under öffnen derzeit in jedem Monat durchschnittlich 3 neue Trampolinparks ihre Pforten. „Die Zahl der Kinder, die sich in Indoor-Trampolinparks verletzen, wird zunehmend größer“, konstatieren Dr. Christopher Mulligan vom The Sydney Children's Hospital, Randwick, Australien und seine Kollegen in einem gerade veröffentlichten Artikel [1]. Sie hatten innerhalb eines halben Jahres 40 Kinder versorgt, die nach Verletzungen in einem nahe gelegenen Trampolinpark in die Notaufnahme gekommen waren: 22 von ihnen hatten Weichteilverletzungen, 15 hatten Frakturen, ein Kind erlitt eine dislozierte Halswirbelfraktur.

In den USA sind die in Notaufnahmen registrierten Verletzungen in Trampolinparks von knapp 600 im Jahre 2010 auf fast 7.000 im Jahre 2014 angestiegen. Die meisten Unfälle ereignen sich aber auf privaten Trampolins. „Insgesamt sind es in den USA derzeit fast 92.000 Notaufnahmen pro Jahr wegen Verletzungen auf privaten oder öffentlichen Trampolinen“, berichten Dr. Kathryn Kasmire vom Connecticut Children’s Medical Center in Hartford und Mitarbeiter in Pediatrics [2]. Meist handelt es sich um Distorsionen oder Zerrungen. Querschnittsverletzungen, schwere Schädel-Hirn-Traumata oder gar Todesfälle sind selten, kommen aber vor.

PD Dr. Dorien Schneidmüller

Erwachsene nutzen Trampoline weit weniger. Aber wenn, scheinen sie noch stärker gefährdet zu sein als die Kinder: Von 50 erwachsenen Verletzten in einer australischen Studie benötigten 39 eine Operation, 7 hatten Halswirbelsäulenverletzungen davongetragen. Ein halbes Jahr später war die Hälfte dieser Patienten noch nicht vollständig genesen, jeder Dritte klagte über dauerhafte Einschränkungen.

„Auch wir sehen in fast jedem Dienst ein Kind mit einer Verletzung nach Trampolinspringen“, sagt PD Dr. Dorien Schneidmüller, Oberärztin an der Abteilung für Unfallchirurgie, Sportorthopädie und Kindertraumatologie der BG Unfallklinik Murnau. „Bei Kindern unter sechs Jahren beobachten wir gehäuft seltene Verletzungen wie Lösungen der Wachstumsfugen an Kniegelenken oder Oberschenkelbrüche – Dinge, die sonst nur mit Hochrasanztraumata in Verbindung gebracht werden“, erklärt Schneidmüller gegenüber Medscape. Vielen Eltern sei offenbar nicht bewusst, dass die Benutzung eines Trampolins gefährlich sein könnte. „Das ist kein normales Spielgerät, auf dem man herumtoben und tollen kann.“ Vergleichbar dem Ski- oder Radfahren bedürfe es der Übung.

Bei Kindern unter sechs Jahren beobachten wir gehäuft seltene Verletzungen wie Lösungen der Wachstumsfugen an Kniegelenken oder Oberschenkelbrüche … PD Dr. Dorien Schneidmüller

Kleine Kinder wegkatapultiert

Und es gilt Regeln zu beachten. Regeln, deren Befolgung durch erwachsene Beobachter eingefordert werden muss, wie etwa die American Academy of Pediatrics (AAP) in ihren regelmäßigen Statements zum diesem Thema fordert. 3 Viertel der Verletzungen passieren z.B., weil sich mehrere Kinder auf dem Trampolin vergnügen. Die kleinen Kinder sind dabei um ein Vielfaches gefährdeter als die großen. „Wenn mehrere Kinder unterschiedlichen Gewichts aufs Trampolin gehen, werden die leichteren Kinder schlicht wegkatapultiert“, sagt Schneidmüller. Sie warnt zudem davor, Bälle oder andere Gegenstände mit aufs Trampolin zu nehmen.

Das Herunterfallen vom Trampolin kann schwere Verletzungen verursachen und macht nach Angaben der AAP 27% bis 39% aller Trampolin-assoziierten Verletzungen aus. Netze schützen nicht immer, etwa weil sie zu schwach, zu spröde oder falsch angebracht sind. In der Murnauer Studie war die Verletzungshäufigkeit mit und ohne Netz nicht verschieden. Vermutet wird, dass mit Netz die Kinder und Jugendlichen risikofreudiger werden. Was sie unbeobachtet alles auf Trampolins anstellen, wird von den Kindern selbst gerne ins Netz gestellt. Bei Betrachtung entsprechender Videos auf den bekannten Kanälen lassen sich viele Verletzungsmechanismen nachvollziehen.

Mit Training und Vorsichtsmaßnahmen Unfälle verhindern

Wenn mehrere Kinder unterschiedlichen Gewichts aufs Trampolin gehen, werden die leichteren Kinder schlicht wegkatapultiert. PD Dr. Dorien Schneidmüller

Dabei wird auch deutlich, dass gerade privat genutzte, womöglich alte Trampoline, den Belastungen unter Umständen nicht gewachsen sind. In der Europäischen Union gilt seit Anfang 2015 eine EU-Norm für „Spielzeugtrampoline“ (EN 71-14:2014). An die in dem Papier definierten Sicherheitsanforderungen wie Außennetz oder Polsterungen müssen sich die Gerätehersteller halten.

Die Stiftung Warentest oder auch die Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) haben einfache Sicherheitsregeln für das Trampolinspringen veröffentlicht, deren Kenntnis zusätzlich zu den gerätetechnischen Anforderungen helfen dürften, vor allem schweren Verletzungen vorzubeugen. Verbote bringen dagegen nichts. Davon sind auch viele Ärzte überzeugt.

„Ich möchte das Trampolin nicht von vornherein verdammen“, meint Schneidmüller. „Ich bin ganz froh, wenn sich Kinder draußen an der frischen Luft bewegen.“ Zumal sie im Durchschnitt auch in Deutschland immer unsportlicher und dicker werden. Ein Grund mehr, das Springen zu üben – ähnlich wie Radfahren geübt werden muss – und Verletzungen vorzubeugen, so wie die meisten Kinder heute ganz selbstverständlich den Fahrradhelm aufsetzen.

REFERENZEN:

  1. Mulligan CS, et al. Inj Prev. (online) 15. August 2016

  2. Kasmire KE, et al. Pediatrics 2016;138(3):e20161236

Kommentar

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