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Krankenkassen TK-Chef gibt Mogelei bei Abrechnungen zu

Aus einem leichten Bluthochdruck wird ein schwerer: Ärzte machen Patienten kränker, als sie sind - auf dem Papier. Mit dieser Methode schummeln Kassen offenbar bei Abrechnungen. Das räumte der Chef der TK in einem Interview ein.
Jens Baas

Jens Baas

Foto: Bernd Von Jutrczenka/ dpa

Krankenkassen manipulieren offenbar bei der Abrechnung von Leistungen in großem Umfang. Der Chef der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, gab diese Schummeleien in einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zu.

"Die Kassen bezahlen zum Beispiel Prämien von zehn Euro je Fall für Ärzte, wenn sie den Patienten auf dem Papier kränker machen", sagte Baas demnach. Manche Kassen würden die Ärzte dazu persönlich besuchen, andere riefen an. Es gebe sogar Verträge mit Ärztevereinigungen, die mehr und schwerwiegendere Diagnosen zum Ziel hätten. Die Kassen ließen sich zudem in dieser Richtung von Unternehmensberatern beraten, wofür Honorare anfielen.

Für all das hätten die Kassen seit 2014 eine Milliarde Euro ausgeben, die für die Behandlung der Patienten fehlen, sagte der Chef der größten deutschen gesetzlichen Krankenkasse. Ohne die Manipulationen könnte der Beitragssatz der TK 0,3 Prozentpunkte niedriger liegen. "Ich möchte, dass das System manipulationsresistent gemacht wird", sagte Baas zur Begründung, warum er die Schummeleien seiner und der anderen Kassen öffentlich macht.

Die Finanzlage der gesetzlichen Krankenkassen ist ein sensibles Thema: Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgebern streiten darüber, wer die größte Last bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung trägt. Eine Analyse von SPIEGEL ONLINE der einzelnen Argumente und Kostenposten zeigt, dass die Versicherten deutlich höhere Lasten tragen als die Arbeitgeber. Dieses Ungleichgewicht dürfte sich in den kommenden Jahren noch verstärken.

Baas sagte der Zeitung weiter, es wäre hilfreich zu klären, ob die Methode illegal sei. Eine Aufsicht gäbe es in diesem Fall nicht. "Das Bundesversicherungsamt und die Landesaufsichten sehen das ganz unterschiedlich und agieren nicht einheitlich."

Um mehr Geld aus dem Risikostrukturausgleich zu bekommen, sei ein Wettbewerb zwischen den Kassen darüber entstanden, "wer es schafft, die Ärzte dazu zu bringen, für die Patienten möglichst viele Diagnosen zu dokumentieren", sagte Baas weiter. "Aus einem leichten Bluthochdruck wird ein schwerer. Aus einer depressiven Stimmung eine echte Depression, das bringt 1000 Euro mehr im Jahr pro Fall."

Besonders intensiv würden die regionalen Kassen diese Schummelei betreiben. "Sie bekommen 2016 voraussichtlich eine Milliarde Euro mehr, als sie für die Versorgung ihrer Versicherten benötigen." Baas meint dabei offenbar die Kassen der AOK, schreibt die Zeitung. Aber auch seine Kasse könne sich dem nicht entziehen.

brt/dpa