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Sascha Lobo

Corona-Hilfen Der deutsche Staat verachtet Selbstständige und Kreative

Sascha Lobo
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Die wahre Staatsreligion in diesem Land ist die Festanstellung. So erklären sich die Corona-Sonderregeln und Milliardenhilfen. Bei Selbstständigen tut der Staat, als seien sie selbst schuld an fehlenden Aufträgen.
Corona-Hilfe für Selbstständige? Hier spielt die Musik nicht mehr

Corona-Hilfe für Selbstständige? Hier spielt die Musik nicht mehr

Foto: imago images/MiS
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Der deutsche Staat hat für Selbstständige und Kreative wenig mehr als Verachtung übrig, und die GroKo fühlt sich damit pudelwohl, entgegen aller Beteuerungen, aller PR-Aktionen mit erfolgreichen Künstlern, aller ehrenwerten Einzelpolitikerinnen und -politiker, die oft aussichtslose Kämpfe für Selbstständige und Kreative führen. Zwar glauben auch wirklich einflussreiche politische Kräfte, sie selbst kämpften für Selbstständige und Kreative – aber in Wahrheit halten sie Strukturen am Leben, in die die Staatsverachtung für alles außer Festanstellung eingebrannt ist wie dieser eine Soßenfleck im Backofen seit Silvester 2012.

Am Nikolaustag brach sich die Selbstständigen-Staatsverachtung in Sachen Corona Bahn. Und zwar in Form eines Interviews mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil*, einem SPD-Politiker, der vernünftige Mitte-Positionen der Geschmacksrichtung GroKo4ever verkörpert wie kaum jemand sonst. Weil sagte zur Finanzierung der Corona-Kosten: »Schließlich ist die Bundeskasse auch die Kasse der gesamten Solidargemeinschaft. Außerdem fällt in der Krise auf, dass Selbstständige bislang keine Arbeitslosenversicherung haben. Arbeitslosigkeit war in deren Welt bislang kaum vorgesehen und führt nun gerade bei Soloselbstständigen zu großen Problemen. Nun muss der Staat mit Transferleistungen einspringen. Die Lehre muss sein: Wir brauchen eine entsprechende Versicherungspflicht für Selbstständige.«

Ein Trick, um noch mehr Geld abzuzweigen

Das sieht zunächst harmlos aus – aber keiner der Begriffe und Sätze steht dort zufällig. Es beginnt mit dem Stichwort »Solidargemeinschaft«, ein astrein sozialdemokratisches Wort und in Deutschland eine astreine Einbahnstraße in Richtung eines Sozialsystems, in das viele Selbstständige oft (indirekt) Unsummen einzahlen, aber kaum davon profitieren. Konkret: Seit Jahren muss rund ein Drittel der Rentenkasse mit Steuermitteln aufgefüllt werden , weil die Rentenversicherung sonst pleite wäre. Das bedeutet, dass Selbstständige für ein Drittel der Rente mitbezahlen, aber niemals etwas herausbekommen werden.

Dass Selbstständige bislang keine Arbeitslosenversicherung haben, wie Weil sagt, ist Absicht. Darüber wird spätestens seit Anfang des Jahrtausends gesprochen, weil damals das Konzept der Ich AG bekannt wurde. Passiert ist (fast**) nichts, obwohl in zwanzig Jahren mit vielen GroKos alles Mögliche hätte umgesetzt werden können. Inzwischen ahnen die meisten Selbstständigen, dass eine Arbeitslosenversicherung für sie je nach Ausgestaltung nur ein weiterer Trick sein könnte, um noch mehr Geld von ihnen abzuzweigen, das sie niemals zurückbekommen werden.

»Soloselbstständige« ist ein ebenfalls sozialdemokratisch geprägtes Wort, das auf halbem Weg zum Kampfbegriff ist. Absurderweise zielt es darauf ab, ob Selbstständige Angestellte haben oder nicht. Selbstständige arbeiten seit ungefähr immer gemeinschaftlich intensiv in Netzwerken – definiert werden sie trotzdem über die Festanstellung. Auch hier schwingt mit, dass die doofen Selbstständigen nicht Teil der Gemeinschaft sind, nämlich »solo«. Stephan Weil beschwert sich genau deshalb, dass jetzt der Staat einspringen müsse mit Transferleistungen an die fiesen unsolidarischen Selbstständigen. Dieser Satz ist eine Unverschämtheit planetarischen Ausmaßes, weil »Transferleistung« bedeutet, dass es keine Gegenleistung gibt und nie gab. Transferleistung heißt Almosen. Abgesehen davon, dass Weil tut, als hätten Selbstständige keine Steuern bezahlt, sind es SPD und Union, die seit zwanzig Jahren versäumen, funktionierende Instrumente zu gestalten, die nicht Festangestellte in die Sozialsysteme einbinden könnten. Es gibt reichlich Lippenbekenntnisse zur Wissensgesellschaft oder zur Kreativ- und Kulturindustrie, aber die mit Abstand wichtigste Arbeitsform dafür wird geringst geschätzt. Ist gut genug, ein bisschen Glanz und Schmuck ins Haus zu bringen, aber im Zweifel sollen die Kreativen und Selbstständigen bitte aus dem Weg gehen und diejenigen nicht nerven, die richtig arbeiten. Also fest angestellt.

Und das wiederum wird überdeutlich in der Coronakrise. Der selbstständige Publizist Wolf Lotter wies mich darauf hin, dass Olaf Scholz im November 2020 auf der Website des Bundesfinanzministeriums schrieb, dass es gerade »Soloselbstständige sind (...) die von der Pandemie besonders gebeutelt sind« und dass »wir mit aller Kraft dagegenhalten«.

»Das sieht so aus«, sagte mir Lotter, »dass Soloselbstständige bis Juni nächsten Jahres von insgesamt 5000 Euro – höchstens – leben sollen.« Bis zu 5000 Euro für Leute, die laut DIW »massive Umsatzeinbußen«  davontragen und oft seit März 2020 ausschließlich von ihren Ersparnissen leben. Die Union hat sich sogar lange gegen den sogenannten »fiktiven Unternehmerlohn«  gewehrt, der auch nicht mehr ist als ein symbolisches Tröpfchen auf dem glühend heißen Stein. Wenn sie ihn überhaupt bekommen. Selbstständige sind diejenigen, die unternehmerisch arbeiten, dabei oft dringend benötigte Innovationen hervorbringen, aus denen später vielleicht irgendwann einmal große Unternehmen hervorgehen. Oder vielleicht auch nicht. Aber staatliche Anerkennung gibt es eben erst, wenn Selbstständige für Festanstellungen sorgen. Vorher sind sie eine Last.

Irgendwann ist auch mal Schluss mit Solidargemeinschaft

Kern der Verachtung in der Coronakrise ist, dass etwa für die Lufthansa und für Festangestellte Sonderregeln gelten, Milliardenhilfen, Staatskredite, Kurzarbeit. Nichts dagegen, gern wieder, gut, dass der Staat sich da kümmert – aber bei Selbstständigen tut der Staat, als sei es keine Jahrhundertkrise, sondern irgendwie deren eigene Schuld, dass Aufträge ausbleiben.

Irgendwann ist auch mal Schluss mit Solidargemeinschaft und, was für ein giftiges Zitat von Weil, »Transferleistungen«. Ohnehin sind die Corona-Hilfen im Detail selbstständigenfeindlich. Im ersten Anlauf etwa wurden ausschließlich Fixkosten ersetzt, wenn sie nicht einfach reduzierbar waren. Aber Selbstständige versuchen prinzipiell, Fixkosten gering zu halten oder eben zumindest reduzierbar zu gestalten. Ein modernes Beispiel sind Co-Working-Spaces statt eigener Büros.

Diese unternehmerische Vorsicht vieler Selbstständiger wird verdreht in einen Nachteil. Genauso wie bei den Novemberhilfen. Die nämlich werden nur an die indirekt betroffenen Selbstständigen gezahlt, die mindestens 80 Prozent ihrer Umsätze 2019 mit Auftraggebern gemacht haben, die vom Lockdown betroffen sind. Es beginnt damit, dass bei vielen Selbstständigen die Auftragslage von Jahr zu Jahr unterschiedlich ist und deshalb ein Wert von 80 Prozent im letzten Jahr wenig über dieses Jahr aussagt. Es geht weiter damit, dass die meisten Selbstständigen versuchen, auf mehr als einem Bein zu stehen, übrigens eine Empfehlung auch des Bundesarbeitsministeriums. Aber wer das tat, wird faktisch bestraft. Weil dann eben zum Beispiel »nur« 75 Prozent der Umsätze von den vom Lockdown betroffenen Firmen stammen – zack, keine Novemberhilfen. Umgekehrt schafft der Staat jedoch wunderbar abzustufen, wenn er von Selbstständigen Geld haben möchte in Form von Steuern. Dort wäre dann eben etwas weniger Geld fällig, und nicht plötzlich gar keines.

Auf dem Weg in die Altersarmut

Traditionell schmückt sich die deutsche Politik gern mit allem Kreativen und den Innovationsleistungen von Selbstständigen. Allerdings nur, wenn sie erfolgreich sind, weil sie dann kaum Ansprüche stellen. Auf keinen Fall aber sollte man erwarten, dass im angeblichen Land der Dichter und Denker das Dichten und Denken prinzipiell angemessen wertgeschätzt und in der Folge auch bezahlt wird – was eher kein Problem des Marktes, sondern ein systemisches Problem ist.

Vor kurzer Zeit gab es ein spektakuläres Urteil in der Filmwirtschaft. Die Autorin und Regisseurin Anika Decker hatte eine Produktionsfirma verklagt , weil sie zwar das Buch zum Megaerfolg »Keinohrhasen« geschrieben hatte, aber nicht am Erfolg beteiligt wurde. Sie gewann, und warf damit auch ein Schlaglicht darauf, wie schlecht Autoren in Deutschland gestellt sind. Selbst dann, wenn andere mit ihrer Arbeit viel Geld verdienen. In den USA zum Beispiel ist das anders, hierzulande aber folgen Gesetze und mit ihnen Verträge der Überzeugung, dass die eigentlich wertvolle Arbeit nicht die kreative, selbstständige ist. Sondern die der Verwerter, der großen Konzerne (in diesem Fall Warner Bros.), mit ihren fest angestellten Strukturen und warmen Büros. Auf jede Anika Decker kommen Tausende Autorinnen und Autoren, die nicht klagen oder klagen können. Weil der Zustand, dass sich Selbstständige und Kreative in großer Abhängigkeit befinden und auf die Altersarmut zusteuern, politisch gewollt ist.

Die große Frage: Warum ist das so? Einerseits ist unternehmerische Selbstständigkeit im Festanstellungsland Deutschland ab Werk verdächtig, bis sie das Gegenteil beweist (in dem sie für Festanstellungen sorgt). Andererseits gibt es eine tief sitzende, manchmal antiintellektuelle Verachtung gegenüber Leuten, die nach der vorherrschenden Fußgängerzonen-Meinung nicht »richtig« arbeiten. Sondern nur so Gedöns machen. Deshalb ändert niemand die absurd ungerechten Strukturen.

Eine Staatsreligion namens Festanstellung

Man kann auf die Frage nach dem Warum eine Passage aus dem Weil-Interview heranziehen: »Es ist jedenfalls keine gerechte Politik, wenn ich Privatversicherte, also insbesondere Wohlhabende, Selbstständige und Beamte von allen Kosten freihalte... «. Deutschland betrachtet wie Weil in dieser bizarren Aufzählung Selbstständige prinzipiell als Privilegierte, die man einfach mal härter anfassen muss. Die nicht Teil der Solidargemeinschaft sind, egal wie viel Steuern sie zahlen. Übrigens hat vor nicht allzu langer Zeit rund jeder fünfte »Soloselbständige« weniger als fünf Euro netto die Stunde verdient. Also unterhalb des Mindestlohns . Soviel zum Thema der prinzipiellen Privilegierung. Im Sommer titelte der Bayerische Rundfunk: »Mit Wumms in die Armut – Soloselbstständige in der Coronakrise« . Das ist die Realität, und die Überschrift adressiert zu Recht das Olaf-Scholz-Zitat vom »Wumms«. Dieser tolle Wumms galt nämlich nicht für Selbstständige, die deshalb mittlerweile oft verschuldet sind .

In diesem Land gibt es noch vor dem Christentum eine Staatsreligion, und sie heißt Festanstellung. Mit dem Kampfruf »Das sichert Arbeitsplätze!« lässt sich deshalb fast jedes Vorhaben rechtfertigen – Umweltzerstörung, Subventionsexzesse und sogar Waffenverkäufe an Diktaturen. Weil Arbeitsplätze heilig sind, aber eben nur die fest angestellten. Selbstständigkeit zählt nicht, sie ist unsolidarisch, überprivilegiert und irgendwie unseriös. Diese gruselige Haltung ist nebenbei einer der Gründe, warum das nächste Google mit Sicherheit nicht aus Deutschland kommen wird. Das übernächste auch nicht. Dabei ist unternehmerisches, selbstständiges, kreatives Denken für das digitale 21. Jahrhundert essenziell, denn auch Google hat mal klein, garagig, selbstständig angefangen.

Die Union ist stets Freundin der großen Unternehmen und Konzerne. Die SPD sieht in der Festanstellung das allein seligmachende Heil, von den Gewerkschaften ganz zu schweigen. Alle können sich seit Jahrzehnten darauf einigen, dass um Gottes willen die Systematik nicht verändert wird. Der Staat könnte sich nämlich zu viele Selbstständige gar nicht leisten. Schon der Rente wegen. Spätestens ab 50 Prozent Steuermittelzuzahlung in die Rentenkasse würde das Gleichbehandlungsprinzip des Grundgesetzes verletzt, glauben Experten. Dann könnte das Verfassungsgericht das schöne System kippen, in dem Selbstständige die Rente mitbezahlen, aber nie davon profitieren und sich auch noch fehlende Solidarität vorwerfen lassen müssen. Deshalb macht der Staat die Selbstständigkeit nicht zu angenehm. Keine Steuerfinanzierung der Rente, keine für Selbstständige würdigen Instrumente zur Altersabsicherung, keine zeitgemäßen Mischformen aus Selbstständigkeit und Festanstellung. Nicht einmal substanzielle Steuervorteile für Selbstständige, die – Zitat Deutsche Rentenversicherung »... nun selbst ihre Vorsorge organisieren müssen« . Stattdessen Hohn der Sorte Weil.

*Anmerkung I: Ich bin unentgeltlich Teil des Niedersächsischen Digitalrats, der von Stephan Weil ins Leben gerufen worden ist. Meine Haltung zu diesem Thema hat das nicht beeinflusst.

**Anmerkung II: Die faktisch existierende, deutsche »Arbeitslosenversicherung für Selbstständige«  ist nichts als eine Leistung für Leute, die lange angestellt waren und dann in die Selbstständigkeit wechseln. Man kann sie nämlich nur beantragen, wenn man zuvor angestellt war.

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