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Trotz negativem Test Streit um Quarantäne von Bremer Schüler

Ein 16-Jähriger ist negativ auf das Coronavirus getestet, muss aber trotzdem für 14 Tage in Quarantäne. Der Fall sorgt jetzt für Ärger. Die Gesundheitsbehörde wehrt sich gegen Kritik der Eltern.
06.10.2020, 05:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Streit um Quarantäne von Bremer Schüler
Von Frank Hethey

Beim Basketballtraining passierte es: Der 16-jährige Lennart stand mit einem infizierten Mitspieler auf dem Feld. Acht Tage später können er und seine Familie durchatmen, der Corona-Test ist negativ. Dennoch muss der Schüler insgesamt 14 Tage in Quarantäne ausharren. „Das ist für mich eine Art von Freiheitsberaubung und überhaupt nicht nachvollziehbar“, klagt seine Mutter Petra Hellmann. „Mein Kind ist topfit und langweilt sich.“ Nach dem Lockdown im Frühjahr schon wieder im Elternhaus isoliert, ohne physischen Kontakt zur Außenwelt. „Der Junge hat die Krise gekriegt.“

Dass sich junge Menschen mitunter sogar zum wiederholten Male in Quarantäne befinden, treibt auch Wibke Maitin um. Die Quarantäne bedeute für Kinder und Jugendliche eine nur schwer zu ertragende Isolation: von der Familie, vom Umfeld, vom Sport, von Freunden. Als Mutter eines betroffenen Schulkindes spricht sie aus Erfahrung. Noch extremer sei es Freunden ihrer Kinder ergangen, die mit nur dreitägiger Unterbrechung insgesamt vier Wochen Quarantäne durchlebt hätten. Was Wibke Maitin nicht in den Kopf will: dass selbst ein negatives Testergebnis nichts an der zweiwöchigen Quarantäne ändert. Zumal bei Reiserückkehrern aus Risikogebieten anders verfahren werde.

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Tatsächlich können Reiserückkehrer aus Risikogebieten laut aktueller Corona-Verordnung der an sich obligatorischen 14-tägigen Quarantäne entgehen, wenn sie ein negatives Testergebnis vorlegen. Allerdings wird sich das aufgrund der ansteigenden Infektionszahlen noch im Oktober ändern: Künftig müssen Einreisende aus Risikogebieten fünf Tage warten, ehe sie mit einem negativen Corona-Test ihre Quarantäne verkürzen dürfen.

Die unterschiedliche Handhabung lässt sich laut Gesundheitsbehörde einfach erklären. Reiserückkehrer aus Risikogebieten seien eben nicht automatisch Kontaktpersonen der Kategorie 1, sagt Ressortsprecher Lukas Fuhrmann. Denn: „Einreisende aus Risikogebieten hatten nicht notwendig direkten Kontakt zu Infizierten und haben deshalb auch nicht unbedingt ein höheres Infektionsrisiko. Da muss dringend differenziert werden.“

Kontaktpersonen der Kategorie 1

Anders verhalte es sich bei Schülern, die nach Überprüfung durch das Gesundheitsamt als Kontaktpersonen der Kategorie 1 eingestuft werden. „Wegen des höheren Infektionsrisikos wäre es fahrlässig, sie mit anderen Menschen im Unterricht zu belassen“, sagt Fuhrmann.

Als maßgeblichen Grund für die 14-tägige Quarantäne führt Fuhrmann die Unwägbarkeiten der Inkubationszeit ins Feld. „Es kommt immer wieder vor, dass Menschen auch noch nach zehn oder zwölf Tagen Symptome entwickeln.“ Um in solchen Fällen gewappnet zu sein, sei die Isolierung als Vorsichtsmaßnahme unerlässlich. Daran werde sich auch vorerst nichts ändern, anders als bei den Regelungen für Einreisende aus Risikogebieten.

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Doch was, wenn man im Unterricht freiwillig eine Maske trägt? In den Augen von Wibke Maitin wäre das eine Option, um die nervenaufreibende Isolation zu umgehen. Für die Gesundheitsbehörde ist das allerdings kein praktikabler Weg, Ausnahmen soll es nur in absoluten Ausnahmefällen geben. Nämlich nur bei systemrelevanten Personen, wie Fuhrmann betont. Als Beispiele nennt er Angehörige von Feuerwehr und Polizei.

Indessen erhalten Petra Hellmann und Wibke Maitin Unterstützung vom Zentralelternbeirat (ZEB). „Wir schicken viel zu viele Kinder in Quarantäne“, sagt Vorstandssprecher Martin Stoevesandt. Über den entscheidenden Grund kann es aus seiner Sicht keinen Zweifel geben: Das Problem liege in den viel zu großen Kohorten, in der Regel ganze Jahrgänge. „Wenn ein Schüler infiziert ist, können wir doch nicht gleich 160 Kinder in Quarantäne schicken.“ Sein harsches Urteil: „Quarantäne ist Freiheitsberaubung.“

Zumeist nur sehr kurzfristig in Quarantäne

Die Gesundheitsbehörde hält dagegen. Bei einem Infektionsfall sei die gesamte Kohorte ja zumeist nur sehr kurzfristig in Quarantäne. So lange, bis die engeren Kontaktpersonen identifiziert seien. Als Paradebeispiel gilt ein Fall, der sich vor einigen Wochen im Kippenberg-Gymnasium ereignete – nach nur einem Tag in Quarantäne konnten fast alle Schüler wieder in den Unterricht zurückkehren.

Für Petra Hellmann ist das nur ein schwacher Trost. Auch weil ihr Sohn überhaupt keinen längeren Kontakt zu seinem infizierten Mitspieler gehabt habe. „Die haben noch nicht mal gegeneinander gespielt.“ Da die Familie nicht im Ungewissen sein wollte, organisierte sie auf eigene Faust einen Corona-Test. Dass das negative Ergebnis fürs Gesundheitsamt nicht ins Gewicht fällt, kann sie nicht nachvollziehen.

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Und nicht nur sie, laut Wibke Maitin schütteln auch befreundete Kinderärzte den Kopf. „Die verstehen die lange Quarantäne ebenfalls nicht und wollen sich mit einem Schreiben an die Gesundheitsbehörde wenden.“ Anderswo werde die Sache lockerer gehandhabt. Als Stadtführerin habe sie gerade eine Bochumer Schulklasse in Bremen empfangen. Nach Aussage der Lehrerin kenne man dort keine zweiwöchige Pauschalquarantäne für Schüler.

Dabei will Wibke Maitin nicht als Nörglerin gelten, eine grundsätzliche Kritik der behördlichen Corona-Politik liege ihr fern. „Ich unterstütze jede sinnvolle Vorsicht, was den Infektionsschutz angeht“, sagt sie. „Aber hier wird definitiv übertrieben, auf Kosten der jungen Generation.“

Nur eine Momentaufnahme

Inzwischen ist genau diese Frage auch vor Gericht verhandelt worden. Der negative Corona-Test eines Schülers verkürze nicht seine 14-tägige Quarantäne, entschied das Verwaltungsgericht Düsseldorf am Donnerstag. Die Begründung: Ein Testergebnis während der Inkubationszeit stelle nur eine Momentaufnahme dar. Laut Gericht ergibt eine Abwägung der betroffenen Grundrechte, dass das öffentliche Interesse am Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung und der Sicherung des Gesundheitssystems eine kurzzeitige Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit rechtfertige.

So sieht es auch die Bremer Gesundheitsbehörde. Die insgesamt niedrigen Infektionszahlen an den allgemeinbildenden Schulen wertet Fuhrmann als Bestätigung der Corona-Maßnahmen. Die Langeweile hat Lennart derweil auf seine Art bekämpft: mit ausgedehnten Computerspielen.

Info

Zur Sache

1450 Schüler bislang in Quarantäne

Aktuell sind laut Gesundheitsbehörde in Bremen 36 Schulen von Corona-Fällen betroffen. Seit Beginn des Schuljahres mussten sich bislang rund 1450 Schülerinnen und Schüler in Quarantäne begeben. Hinzu kommen 220 betreuende und unterrichtende Personen.

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