Für Annett Krüger kam die Nachricht überraschend. Die Berliner Physiotherapeutin hatte fest damit gerechnet, dass sie ihre Praxis nach Ausbruch der Corona-Krise würde schließen müssen. "Schließlich gibt es wenige Berufe, in denen sich Menschen so nahekommen. Wie sollen wir einen Sicherheitsabstand einhalten? Unsere Arbeit ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Handwerk, sie lebt doch davon, dass man einen Menschen anfasst, dass man tastet und fühlt", sagt sie.

Doch die Entscheidung lautet anders: Am 22. März verkündete die Bundesregierung, dass Dienstleistungen, die einen engen Kontakt zum Kunden erfordern, bis auf Weiteres verboten werden. Dazu zählen Friseure, Kosmetiker, Tätowiererinnen und Piercer sowie Masseurinnen.

Praxen für Physio-, Ergotherapie oder Logopädie dagegen sollen geöffnet bleiben – zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung, wie es offiziell heißt. Physiotherapeuten gelten also als systemrelevant, behandeln dürfen sie allerdings nur solche Fälle, deren Therapie nicht aufgeschoben werden kann. Dazu zählen laut dem Deutschen Verband für Physiotherapie (ZVK) beispielsweise "akute Schmerzsyndrome, neurologische Ausfälle, akute lymphatische Versorgung im Sinne einer komplexen Entstauungstherapie". Diese Liste ist es, die Annett Krüger beunruhigt: "Wir sollen die Praxen offen halten, dürfen aber nur ausgewählte Fälle behandeln. Die machen aber nur einen geringen Prozentsatz der Patienten aus."

Hinzu kommt, dass viele andere, die kommen dürften, sich nicht trauen und aus Angst vor Ansteckung ihre Termine absagen. Die Zahl der Patientinnen und Patienten schrumpfe stetig, sagt die 49-Jährige, aktuell verzeichne sie zwischen 70 und 80 Prozent Gehaltseinbußen. Die Konsequenz liegt für Annett Krüger klar auf der Hand: "Wir steuern durch diese Regelung klar auf den finanziellen Ruin zu, denn unsere laufenden Ausgaben gehen ja weiter." Die Miete für ihre Praxisräume im Berliner Bezirk Friedrichshain, Versicherungen, Strom und die Gehälter für ihre drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kosten die 49-Jährige jeden Monat mehrere Tausend Euro.

So wie Annett Krüger geht es auch den rund 160.000 anderen Physiotherapeuten in Deutschland: "Die Praxen melden uns aktuell zwischen 50 und 90 Prozent Ausfall", sagt Ute Merz vom Deutschen Verband für Physiotherapie. Die Ausfallquote sei stark abhängig vom Patientenklientel der einzelnen Praxen, so Merz: "Es ist nun Aufgabe der Ärzte und unsere Aufgabe, zu entscheiden, welche Patienten dringend behandelt werden müssen und bei welchen Patienten die Behandlung zunächst hinausgeschoben werden kann.

Der Verband rät seinen Mitgliedern zu erheblichen Vorsichtsmaßnahmen. So schreibt er auf seiner Website, dass Praxisinhaber Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Mundschutz und Handschuhen versorgen sollten – und sie anhalten sollten, stark auf Hygiene zu achten. Außerdem sollen Therapien, falls möglich, ohne Körperkontakt durchgeführt werden, in einem Abstand von mehr als 1,5 Metern. Die Behandlungsbank solle mehrfach täglich desinfiziert werden. Gleiches gilt für Toiletten und Waschräume. Falls man die Hygienemaßnahmen nicht mehr einhalten könne, müsse die Praxis eigenständig geschlossen werden, und das ohne Erstattungsansprüche.