An einer Hochzeit in Schwellbrunn feiern Corona-Kranke. Sie schweigen auch dann noch, als sich die Infektionen häufen – wie ein Appenzeller Dorf kollektiv versagt

Appenzell Ausserrhoden hat fünfmal so viele Covid-19-Infektionen pro 100 000 Einwohner wie Deutschland. Ein Grund für den Ausbruch ist eine Hochzeit vor zwei Wochen.

Angelika Hardegger
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Ein Brautpaar aus der Ausserrhoder Gemeinde Schwellbrunn lud am 10. Oktober zur Hochzeit. 200 Gäste kamen. Mehrere brachten Corona mit.

Ein Brautpaar aus der Ausserrhoder Gemeinde Schwellbrunn lud am 10. Oktober zur Hochzeit. 200 Gäste kamen. Mehrere brachten Corona mit.

Christoph Ruckstuhl / NZZ

Manche Dinge kommen im Raum Appenzell etwas später an, so war es auch mit dem Coronavirus. Die erste Welle zog an den beiden Appenzell praktisch vorbei. Die Grafik der Fallzahlen zeigte vom Februar bis zum Spätsommer mehr Linie als Kurve, selbst im März, auf dem Höhepunkt der ersten Welle, wurden nur wenige Fälle verzeichnet. Umso härter wird der Kanton Appenzell Ausserrhoden von der zweiten Welle getroffen.

Die Kantonsärztin sagte es an einer Medienkonferenz vom Montag klipp und klar: «Die Lage verschärft sich massiv. Wir haben fünfmal so viele Infektionen pro 100 000 Einwohner wie Deutschland.» Im Kanton Appenzell Ausserrhoden sind in der vergangenen Woche fast 200 Ansteckungen gemeldet worden, zwei Personen sind gestorben. Ein Grund für den Ausbruch liegt zwei Wochen zurück: Ein Brautpaar aus der Gemeinde Schwellbrunn lud am 10. Oktober zur Hochzeit. 200 Gäste kamen – und mehrere brachten Corona mit.

«Wir haben verschiedene Hinweise, dass mehrere Gäste mit Symptomen an die Hochzeit kamen», sagt der Ausserrhoder Gesundheitsdirektor Yves Noël Balmer. Ob die Personen mit Symptomen von ihrer Infektion wussten, ist den Appenzeller Behörden nicht bekannt. Laut Gesundheitsdirektor Balmer spielt das auch nur eine untergeordnete Rolle. «Jedem hätte klar sein müssen: Krank in so eine Menschenansammlung gehen – das geht jetzt einfach nicht.»

Alle sollen schweigen

Eine Woche nach dem grossen Hochzeitsfest feierten die Schwellbrunner dann auch noch ein Oktoberfest. Unter den Partyleuten waren mehrere Hochzeitsgäste. Das Virus verbreitete sich ungehemmt in der 1400-Einwohner-Gemeinde. Den Behörden im Kantonshauptort Herisau wurden immer mehr Fälle aus Schwellbrunn gemeldet.

Letzte Woche schnellten die Fallzahlen aus Schwellbrunn dann derart in die Höhe, dass die Behörden skeptisch wurden. Mittlerweile sind mindestens 30 Dorfbewohner positiv getestet worden. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich um einiges höher. So genau wissen das die Appenzeller Behörden nicht. Denn die Hochzeitsgäste hatten vereinbart, sich nicht testen zu lassen, um eine Quarantäne zu umgehen.

«Wir haben mehrere Hinweise von Gästen auf solche Absprachen», sagt Yves Noël Balmer. Eine unrühmliche Rolle spielten auch die Firmen im Dorf. Es gebe Hinweise, dass einzelne Firmen die Mitarbeiter ermuntert hätten, sich nicht beim Kanton zu melden, um grössere Ausfälle zu vermeiden, sagt Balmer.

Unter den Gästen sind solche mit schweren Verläufen

Erst als Gesundheitsdirektor Balmer höchstpersönlich beim Bräutigam intervenierte, bekam der Kanton eine Liste mit den Hochzeitsgästen zugeschickt. Das Fest lag da schon zu weit zurück, um den Schaden noch einzudämmen. Jetzt liegen in Appenzell Ausserrhoden 24 Personen wegen Corona im Spital. Unter den infizierten Hochzeitsgästen erleiden einige schwere Verläufe.

Gesundheitsdirektor Balmer sagt: «Wir sind verärgert und schockiert. Wir investieren Millionen in die Bewältigung dieser Krise. Und dann setzt sich eine Gruppe von Leuten einfach so über alle Regeln hinweg.» Der Kanton prüft jetzt Anzeigen. Die genaue Rekonstruktion der Ereignisse sei jedoch schwierig, sagt Balmer.

Die Schwellbrunner Hochzeit ist nur einer von mehreren Ostschweizer Fällen, die in den vergangenen Wochen national für Negativschlagzeilen gesorgt haben. Der Kanton Thurgau musste Ende September 300 Personen in Quarantäne schicken, nachdem diese an einer Party mit dem sprechenden Namen «Chlöpf di weg» gefeiert hatten. Im Vergleich zu den Schwellbrunnern kamen die Thurgauer Partygäste aber glimpflich davon. Von den 300 Personen in Quarantäne wurden alle mit Symptomen getestet. Sechs von ihnen waren positiv.